La Clemenza di Tito – die Salzburger Festspielproduktion wandert nach Amsterdam

Xl_laclemenzaditi-8_ruthwalz © Ruth Walz

Nach der im letzten Festspielsommer in Salzburg so erfolgreichen Neuinszenierung von La Clemenza di Tito hat die Amsterdamer Oper nunmehr die Produktion in teilweise abweichender Sängerbesetzung übernommen. Weiterer Koproduzent ist die Deutsche Oper Berlin. 

Was wurde nicht alles über Mozarts La Clemenza die Titogeschrieben und kritisiert: eine von Handlung und Gesinnung steife Huldigungsoper, ein an Metastasio ausgerichtetes, überholtes Libretto, das trotz der Optimierungen von Mazzola im wesentlichen Arie an Arie reiht, lange, nicht enden-wollende  Rezitative etc. Was, wenn nun ein beherztes Leitungsteam das Alles anpackt und neu und gegenwartsbezogen verändert?

Und das genau haben sie getan: Der Regisseur Peter Sellars schafft eine mutige, auf die Ereignisse der heutigen Tage veränderte Handlung, die die Flüchtlingsthematik und den Terrorismus aufgreift, während der junge Dirigent Theodor Currentzis beherzt die langen Rezitative kürzt, die Musik auf unterschiedliche Weise stark dynamisiert und auch nicht davor zurückschreckt, andere Kompositionen von Mozart in den Ablauf einzubauen.

Bei Sellars sind Sesto und seine Schwester Servilia Flüchtlinge, die Titus auswählt, um ihnen besondere Unterstützung beim Einstieg in ihr neues Leben zu gewährleisten. Sesto bleibt jedoch mit seiner gesellschaftlichen und ethischen Prägung einer Herkunft treu, in welcher Gerechtigkeit nur durch gewaltsamen Umsturz und Terrorismus bewirkt werden kann. Er ist daher durch Vitellia verführbar, die ihn zum Aufruhr gegen Titus anstiften kann.  Anders als in der Oper stirbt Titus am Ende der Handlung.  

Currentzis lässt zu Beginn und im weiteren Verlauf des zweiten Aktes Teile von Mozarts Große Messe in c-moll, KV 427 spielen und ergänzt auch den Schluss nach dem Huldigungschor für den toten Titus durch die Maurische Trauermusik, KV 477. Die sanftmütige und in der originalen Oper schwer erklärbare Reaktion Titus‘ erscheint in dieser Version wie der Spiegel für das Verhalten des besonnen Teils der Bevölkerung in den heute vom Terrorismus betroffenen Ländern. Der Chor ist in die Szenen jeweils durch Gebete und Gesten der Trauer eingebunden.  

Durch Fernsehbilder mehr als vertraut sind die bewaffneten, patroulierenden Polizisten, die Absperrungen, hinter die Menschen gesperrt werden und die ewigen Lichter, welche regelmäßig an den Attentatsplätzen zum Gedenken an die Toten und Verletzten aufgestellt werden. Das Bühnenbild von George Tsypin kommt dabei mit wenigen Mitteln auf einer nahezu leeren Bühne aus. Rätselhaft sind lediglich die aus der Unterbühne hochfahrenden Plastikbauten, die immer wieder unerwartet erscheinen, bzw. die zur Trauermusik sichtbaren Plastikstelen mit drehenden Polizeilampen. Die Kostüme von Robby Duiveman bestehen bei Flüchtlingen und den Solisten der Handlung aus moderner Alltagskleidung gemäß der sozialen Schicht oder Funktion. 

Unter den Sängern ist zunächst Paula Murrihy als Sesto hervorzuheben: wunderbar der Ausdruck des Zweifelns, der Zerrissenheit. Die mit dem Klarinettisten Florian Schuele auf der Bühne inniglich vorgetragene große Arie war der Höhepunkt der Aufführung. Stimme und Instrument wurden in sensiblem Spiel der Protagonisten zu einer anrührenden Einheit. Ebenso so ausdruckstark und bewegend, insbesondere in den kunstvollen pianissimo-Passagen die anrührende Jeanine De Bique als Annio. Servilia, dargestellt und gesungen von Janai Brugger, überzeugte durch eine ebenso feine Stimmgebung wie zurückhaltende Darstellung. Russell Thomas erfüllte den rätselhaften, nach innen gekehrten Charakter des Titus stimmlich und darstellerisch überzeugend. In seiner 25. Produktion an der Nederlandes Opera konnte Sir Willard White in der Rolle des Sicherheitsministers Publius erneut überzeugen. Lediglich Ekaterina Scherbachenko als Vitellia verfügte nicht immer über die notwendige Gleichmäßigkeit in der Stimmführung; darüber hinaus machten ihr die Tiefen der Gesangslinien ihrer anspruchsvollen Partie durchaus wiederholt Probleme.             

Theodor Currentzis hat sich im übrigen wie bei vielen seiner Produktionen in Europa seinen eigenen Chor und sein Orchester mitgebracht: die musicAeterna. Der Chor unter der Leitung von Vitaly Polonsky vermag den Brückenschlag zwischen dem Opernchor der Vorlage unter der ihm zugewiesenen Rolle als Flüchtlingsgruppe hervorragend auszufüllen. Besonders überzeugend und durch die intensive stimmliche Umsetzung auch dramaturgisch zwingend die gesangliche Gestaltung der Teile aus der Großen Messe und der Maurischen Trauermusik im zweiten Teil. Die ruhige, von Trauer getragene Haltung, die den Betroffenen Haltung zu verleihen vermag, wird hier fühlbar und sinnhaft. 

Das Dirigat scheut vor ungewohnten Temporückungen und hoher Dynamik nicht zurück: da ergeben sich neue, alternative Höreindrücke, die jedoch dramaturgisch überzeugen.Das Orchester spielt durchweg mit exzellenter Qualität und ist perfekt auf den Maestro eingschworen. 

Das Publikum feierte alle Mitwirkenden der Produktion, insbesondere das Sellars/Currentzis-Team sowie die Sänger auf das Herzlichste und mit vielen Bravi-Rufen.

Achim Dombrowski

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