Komische Oper Berlin - Märchen und Grausamkeit - streng zensurpflichtig

Xl_4302_der_goldene_hahn_219_c_monika_rittershaus © Monika Ritterhaus

Der Goldene Hahn

(Nikolai Rimski-Korsakow)

Komische Oper Berlin

Premiere 28.01.2024

besuchte Aufführung am 7.02.2024

Der Allmachtsalptraum eines dummfaul-bizarren Königs Dodon, der an seiner gefährlichen Macht festhält, unterhaltsam-skurril anzuschauen, aber am Ende mit blutigem Ausgang für jeden, der ihm im Wege steht – ist das nicht eine Oper mit einer (Märchen-)Handlung, die nicht nur im Dämmerschein des späten Zarentum zensurbedroht wäre? 

Der russische Komponist Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) hatte nicht nur in der russischen Musikgeschichte eine große Bedeutung. Er war unter anderem Lehrer von Alexander Glasunow, Igor Strawinski und Sergei Prokofjew und beeinflusste weitere, auch westliche Komponisten nachhaltig.

Von seinen 15 Opern ist Der Goldene Hahn die letzte. Zu seinen Lebzeiten konnte Rimski-Korsakow das Werk nicht mehr auf der Bühne erleben, nachdem er sich geweigert hatte, auf die Forderungen der Zensur einzugehen, die in dem Werk deutlich eine Kritik an der Zarenkrone erkannte. 1909 kam dann zunächst eine (durch die Zensur) verkürzte Fassung mit nur mäßigem Erfolg in Moskau zur Uraufführung. Der Durchbruch gelang erst mit der ungekürzten Originalfassung in französischer Sprache 1914 in Paris.

Barrie Kosky als ehemaliger Hausherr der Komischen Oper bringt in einer Koproduktion mit dem Festival d’Aix-en-Provence, Opéra National de Lyon und dem Adelaide Festival die auf Puschkin basierende, mehr auf Erzählelementen als auf einer geschlossen Handlung beruhende Oper auf die Bretter. Ihm gelingt eine unterhaltsame Umsetzung, aber mit dem berühmt-berüchtigten Lachen, das dem Betrachter im Halse stecken bleibt. Jeder Zuschauer verlässt das Haus nachdenklich, vielleicht betroffen.      

Das Einheitsbild von Rufus Didwiszus ist angeregt durch Kreationen des Malers Alfred Kubin, der sich in seinem Schaffen zentral mit Angstbildern und Alptraum-Szenarien beschäftigte, wie sie die Handlung des Goldenen Hahns beinhaltet. Die wirkungsvolle Lichtregie von Franck Evin rundet die bedrückende Atmosphäre wirkungsvoll ab. Die Kostüme von Victoria Behr umfassen die ungepflegte Einheits-Unterwäsche des Königs, geschniegelte Geschäftsanzüge seiner machtgierigen und unfähigen Söhne sowie die traumhaft-exotische, mit Federn und in silbernem Schmuck agierende Königin von Schemacha, die stark orientalische Einflüsse beinhaltet. 

Der Bassist Dmitry Ulyanov gibt einen tollpatschigen, in Unterwäsche und mit Krone herumstolzierenden, gleichwohl machtbewussten und skrupellosen König Dodon, der mit dem gleichen äußerlich Auftritt von Liebenswürdigkeit die Königin von Schemacha zu betören sucht wie er auch so ganz beiläufig tötet. Ulyanov gelingt die Gratwanderung stimmlich und darstellerisch brillant. Er ist zu jeder Zeit das Zentrum der Aufführung. In seiner Traumwelt laufen die teils disparaten Handlungsstränge zusammen. Manchmal weiß der erschrockene Zuschauer gar nicht mehr, ob es des Königs oder seine eigenen Traumbilder sind, die ihn gerade umgeben.   

Kseniia Proshina als Königin von Schemacha gönnt der sie umgarnenden, lächerlichen Erscheinung des Königs Dodon ihren großzügigen Sadomasochismus in stimmlich changierender, exotisch-orientalischer Farbgebung. Die Sängerdarstellerin glänzt in der nachgerade unendlichen Farbpalette der anspruchsvollen Partie auch in den ganz hohen Lagen mit höchster Bravour.     

James Kryshak als sehr hoher Tenor (tenore altino) setzt als Astrologe die gesamte Handlung in Gang. Er verlangt für den Zauber des Goldenen Hahns schließlich die Königin von Schemacha als Belohnung. Der König will ihm notfalls die Hälfte seines Königreichs geben – Salome grüßt herüber – aber nicht die Königin – es endet wie es enden muss: der Astrologe wird einen Kopf kürzer gemacht. Er verkündet schließlich im Epilog - den eigenen, abgeschlagen Kopf in der Hand -  dass ja alles nur ein Märchen gewesen sei. Kryshak spielt die Partie mit der notwendigen, doppelbödigen, beklemmenden Hintersinnigkeit und stupender stimmlicher Präsenz durchgehend überlegen aus. 

Des Königs General Polkan wird von Alexander Vassiliev, die Aufseherin Amelfa von Margarita Nekrasova überzeugend verkörpert. Des Königs Söhne, die tumben Prinzen, die sich im Wettstreit gegeneinander umbringen,  werden schauspielerisch etwas überbordend, stimmlich perfekt von Pavel Valuzhin und Hubert Zapiór vertreten.

Dem Goldenen Hahn leiht Julia Schaffenrath aus dem Graben eindringlich ihre silberhelle Stimme und Daniel Daniela Ojeda Yurerta vertritt die Figur wie in einem Alptraum mit langen spitzen Nägeln, die schließlich den König töten, die meiste Zeit auf einem Baum sitzend wie ein zwielichtiger Racheengel.   

Immer gern in silbernen Flatterkostümen verleiht eine Gruppe von vier Tänzern unter der am Hause bewährten Choreographie von Otto Pichler in ausgewählten Momenten effektvoll einen teils komischen, teils traumhaft-orientalischen Flair.     

Chor der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von David Cavelius – zeitweise als Soldaten gekleidet in Pferdemasken mit Strapsen – brilliert mit dem an diesem Hause  gewohnten, hohen Gesangs- und Spielniveeau.

Das ‚Rollendebut‘ des neuen Generalmusikdirektors James Gaffigan mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin gelingt ganz famos. Neben der im Hause gepflegten Spielfreude vermögen die Musiker den vielfältigen Klangzauber der ganz eigenen Musik Rimski-Korsakows mit Farbenreichtum und changierenden Farben bei großer Durchsichtigkeit des Klangs zu verwirklichen. 

Ein großer Theaterabend zum Schauen, Lachen, Erschrecken und viel Stoff zum langen Nachdenken. 

Das Publikum im ausverkauften Haus ist rundherum begeistert. Viele herzlicher Lacher begleiten die pausenlose Vorstellung. Viele bravi für Kseniia Proshina, insbesondere auch für Dmitry Ulyanov und James Gaffigen mit dem Orchester. 

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

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