
Komische Oper Berlin
Don Giovanni / Requiem
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Premiere am 27.4.2025
Der Regisseur Kirill Serebrennikov nähert sich Don Giovanni mit einer konzeptionell neuen Dimension, diesmal besonders weit entfernt vom realen Handlungsablauf.
Bezugspunkt sind die Bewusstseinszustände im Übergang zwischen den Sphären von Leben und Tod gemäß der Gedankenwelt des Tibetischen Totenbuches. Der Mord an Donna Annas Vater, dem Commendatore, bedeutet für Don Giovanni ein traumatisches Ereignis und ein Fluch, der ihn in diesen Zwischenzustand versetzt.
Im tibetischen Totenbuch heißen diese Übergänge Bardos. Genau hier befinden sich Don Giovanni und alle Figuren der Handlung. Hier agieren auch Tänzer, welche die Seele des Titelhelden sowie Geister und Gedankenformen dieser Sphäre repräsentieren. Die verbleibende, wenig reale Handlung wird in Zwischenstufen untergliedert: Bardo des Lebens, der Träume, der Visionen, der Schwelle zum Tod.
Insgesamt entsteht so eine Messe für die Seele Verstorbener im Übergang. Denn in der Überzeugung des Regisseurs verbleibt immer ein Energie-Element jedes Menschen auch nach seinem Ableben, und sei es auch noch so klein.
Mozarts Universum in der Tonart d-Moll, die er sowohl im Don Giovanni als auch im Requiem für die Welt des Todes verwendet, wird als verbindendes Konzeptionsargument genutzt, um der Höllenfahrt Don Giovannis übergangslos weitgehende Teile seines Requiems folgen zu lassen, welche wiederum für die Bardos des Todes und der Erkenntnis stehen.
Die zunehmend unwirklichen Handlungselemente gehen nach einer deftigen Höllenfahrt in eine Art rätsel-basiertes Gestentheater über, das im generell schwarz grundierten Bühnenbild weitgehend durch den Chor und die Tänzer getragen wird.
Der Schauspieler Norbert Stöß läuft wiederholt durch die Szene und spricht in gelassenem Sprachduktus umso bedeutungsschwangere buddhistische Weisheiten aus dem Totenbuch in sein Mikrofon. Wir sollen ohne Angst unsere Reise zum Tod antreten.
Der Ablauf wird mehrfach durch komische und ironische Sequenzen von unterschiedlichem, durchaus auch billigstem Niveau, gebrochen. So darf die Höllenfahrt nicht ohne eine Texteinblendung zu den aktuellen Kürzungen im Berliner Kulturpolitik beginnen - mit grölendem Zuspruch im Auditorium.
Serebrennikov weiß um die Gefahr, eine Oper durch eine zu theoretisch-strukturierte Konzeption in eine Form zu drängen, die ihr nicht gerecht wird. Er schreibt auch explizit darüber. Und doch entgleist ihm diese Inszenierung durch konzeptionelle Überfrachtung vollständig.
Das Geschehen auf der Bühne wirkt quälend symbolgeladen, mühsam gestisch oder durch die Worte des beigestellten Schauspielers mystifiziert. Ihr Sinngehalt erschließt sich nur über das Programmbuch. Jedweder gesungene Text wird als Lüge identifiziert oder dazu erklärt. Jedwede reale Handlung sinn- und bedeutungslos.
Die Videokunst von Ilya Shagelov deutet in verschwommenen Projektionen pornographische Bilder ineinander verwobener, nackter Frauenleiber an. Don Giovanni tritt bei seinem Fest im buddhistisch-inspirierten Mönchsgewand auf, einen Plastik-Penis wie ein Mantra vor sich her tragend, dieser schwarz wie der Tod, in nennenswerter Größe wegen der Ironie – der traurige Tiefpunkt des Abends.
Das Bühnenbild arbeitet mit der Grundfarbe schwarz und besteht im Wesentlichen aus einer Anzahl von Holzkästen, die die Anmutung von Särgen mit Türen haben, wenn man das so sehen mag. Die einzelnen Kästen werden mannigfaltig in alle Richtung gedreht oder in den Schnürboden gehoben.
Musikalisch gelang vieles auf hohem, ja höchstem Niveau. Hubert Zapior als Don Giovanni und Tommaso Barea als Leporello setzten ihre phantastische gesangliche Partnerschaft, die sie bereits auf den Tag genau ein Jahr zuvor als Graf und Diener in der Hochzeit des Figaro bewiesen haben, exemplarisch fort. Bravouröse Stimmbeherrschung, disziplinierte Phrasierung, gelangen auch in den heikelsten Stellen vorbildlich. Beide Sänger sind auch noch so jung, dass Zapior zum Schluss der musikalisch geglückten Champagner-Arie mühelos noch ein federnder Sprung aufs Krankenbett oder in der Höllenfahrt eine wahrhaft akrobatische Leistung an Stahlseilen gelingt.
Die Partie der Don Elvira mutiert in der ungewöhnlichen Besetzung durch den brasilianischen Männer-Sopran Bruno de Sá zu Don Elviro, welches in der zur Kreation von verschwommenen, irritierenden Bildern einer Zwischenwelt in der Wirkung hilfreich ist. Allerdings war bei allem handwerklichen Können des Sängers – insbesondere in der Höhe – die Stimme nicht über alle Lagen gleichmäßig tragfähig und ausdrucksstark.
Adela Zaharia gab eine über den Abend zunehmend packende stimmliche Leistung als Donna Anna. Überzeugen konnten auch Penny Sofroniadou als Zerlina, Philipp Meierhöfer als Masetto und Tijl Faveyts mit seinem profunden Bass als Commendatore.
Der Chor der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von David Cavelius darf sein Können nicht nur in den Aufgaben der Oper, sondern noch mehr in den Partien des Requiems klangschön und differenziert beweisen.
Das Orchester der Komischen Oper Berlin mit seinem Chef James Gaffigan klingt zupackend, mit frischen, manchmal aggressiven Akzenten bei insgesamt zügigen Tempi und präziser Rhythmik.
Gaffigan bekennt, dass er den moralisierenden Schluss der ultima scena schon immer für das schwächste Stück der Oper hielt und daher sehr begrüßt, dass man sich gemeinsam entschlossen hat, diese zu streichen. Warum nun aber das selten gespielte, für Wien nachkomponierte Duett Leporello - Zerlina aufgeführt wurde, ist hinsichtlich der Qualität der Musik auch nicht nachvollziehbar – Mozart hin oder her.
Das Publikum ist gespalten. Große Zustimmung für die sängerischen Leistungen sowie Orchester und Dirigat – nicht wenige Buhrufe für das Regieteam.
Achim Dombrowski
Copyright: Foto: Frol Podlesnyi
30. April 2025 | Drucken
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