Junge Sänger in ihrem Element Manon Premiere im Stream aus Hamburg

Xl_hso_manon_2021_c-brinkhoff-moegenburg_17 © Brinkhoff/Mögenburg

MANON
(Jules Massenet)

Livestream der Premiere ohne Publikum am 24.01.2021

Staatsoper Hamburg

Die Staatsoper Hamburg bietet nach langer Zeit wieder eine Neuproduktion von Jules Massenets Manon mit hinreißend junger Sängerbesetzung im Livestream

Obgleich Massenets Manon in Paris 1884 uraufgeführte Opéra comique ihre deutsche Uraufführung 1892 in der Hansestadt erlebte, ist das Werk seltener Gast auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper. Die jetzt geplante und vorbereitete Neuproduktion wollte man daher nicht aufgeben und hat sie notgedrungen zunächst mit den gebotenen Corona-bedingten Anpassungen im Livestream aus der Taufe gehoben.  

Der auf Basis der 1731 von Abbé Prévost geschriebenen Romanvorlage – nicht nur von Puccini und Henze - vielfach vertonte Stoff erzählt die Geschichte der jungen Manon, die auf ihrer allerersten Reise mit dem dauerhaften Bestimmungsort eines Klosters ausbricht und in turbulenter Folge die Liebe ihres Lebens trifft, ihrer eigenen weltlichen Verführbarkeit erliegt und in ihren unausweichlichen Untergang taumelt.      

Der Regisseur David Bösch zusammen in seinem vertrauten Team mit Bühnenbildner Patrick Bannwart und Kostümbildner Falko Herold versteht es wiederum, die optisch fahle Atmosphäre eines fortwährend melancholisch-bedrückenden Alltags zu schaffen. Das gilt auch für die Flitterwelt der Festszenen. Die den Akten vorangestellten, kurzen Videosequenzen lockern das Ambiente nur kurzzeitig auf. Die Ausstattung greift dabei eine unbestimmt-heutige Anmutung auf.  

Vor diesem atmosphärisch ausweglosen Hintergrund erblüht dann eben nur ganz kurz der Hoffnungsfunke der Liebe, der jedoch sogleich wie eine verletzliche Sternschnuppe dem Untergang geweiht ist. Dieser Niedergang vollzieht sich unerbittlich: die lebenssüchtige und liebende Manon endet in einer Art selbstgewählten Liebestod durch Gift; ihr Cousin Lescaut spritzt sich mit Rauschgift in den Abgrund. Davor jedoch werden wir Zeuge einiger einfühlsamer, empathischer, ergreifender Begegnungen zwischen den Liebenden Manon und Des Grieux. Lescaut gibt den halbstarken, gerne-großen Aufpasser, der jedoch angesichts seiner eigenen Abgelenktheit trotz seines fordernden Auftritts keine Kontrolle hat, nicht einmal über sich selbst. Ein stringentes Charakterbild der handelnden Personen wird nicht versucht. Es bleibt also offen, ob die Oper das überhaupt bietet.

Böschs sensible und detailgenaue Personenführung profitiert nicht zuletzt von der unverbrauchten Ausstrahlung der überragenden und außerordentlich glücklich zusammengeführten, hinreißend-jungen Sängerdarsteller. Allen voran ist Elsa Dreisig eine ideale Manon. Mit einer hohen Wandlungsfähigkeit fiebert sie durch die verschiedenen Stadien ihres Erlebens in jugendlicher Frische und Abenteuerlust bis hin zum Liebes-Selbstmord durch Gift. Ihr Auftritt als unschuldige, lebenshungrige junge Frau ist anmutig berührend und bewegt stark. Stimmlich bleibt sie der langen und anspruchsvollen Partie trotz all ihrer Anforderungen nichts schuldig. Ihr mag helfen, dass sie die Partie schon zuvor in Zürich gesungen hat.

Der eher höher timbrierte, sensible Tenor von Ioan Hotea bewährt sich perfekt als ihr liebender, ebenso junger wie unerfahren-hingebungsvoller Liebhaber Des Grieux. Der ebenso junge Bariton Björn Bürger gibt einen außerordentlich spielfreudig-draufgängerischen, stimmlich flexiblen und rundum überzeugenden Lescaut, Cousin der Manon.    

Des Grieuxs Vater wird von Dimitry Ivashchenko überzeugend stimmlich und darstellerisch gegeben. Elbenita Kajtazi, Narea Son und Ida Aldrian runden das Ensemble der Darstellerinnen überzeugend ab.  

Allen Mitwirkenden ist die durch die kluge Personenführung und ihre Hingabe an ihre Aufgabe eine Beschränkung durch die Hygienemaßnahmen gar nicht anzumerken. Nicht auszudenken, wie intensiv die Umsetzung erst ohne diese Einschränkungen wirken muss.  

Das stark ausgedünnte Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielt unter der Leitung von Sébastien Rouland mit Verve und Engagement.    

Der Chor der Hamburgischen Staatsoper unter der Leitung von Eberhard Friedrich wird im Hygienekonzept der Produktion auf die Ränge verbannt, von wo aus er allerdings rhythmisch neben der Spur agiert. Bleibt zu hoffen, dass das bei einer Wiederaufnahme der Inszenierung auf die Bühne anders wird. 

Der Stream funktioniert in den ersten fünfzehn Minuten überhaupt nicht gut – Bildstillstand und Tonstörungen beeinträchtigen die Übertragung.  Im weiteren Verlauf gelingt die Übertragung besser. Die Kamera versteht die Bühnensituation angemessen wiederzugeben.   

Elsa Dreisig wird in Außendarstellung und Vorab-Berichterstattung für die Live-Übertrag durch den NDR ganz in den Mittelpunkt des Werbeauftritts gerückt. Es erscheinen Interviews im NDR und in der wesentlichen Regionalzeit Norddeutschlands. Daneben kommen in den Pausen der Aufführung andere Sänger und auch der Regisseur wie auch der Intendant des Hauses zu Wort.

Der Intendant George Delnon betont, dass er bewusst die Neuproduktion der Manon für den Live Stream ausgewählt hat, da dieses Werk bei weitem noch nicht so nachhaltig im Repertoire verankert ist wie zum Beispiel die vorangegangene Neuinszenierung einer Fledermaus. Delnon führt weiter aus, dass man für die Kulturinstitution der Hamburgischen Staatsoper aus der Produktion auch für die Zeit nach Corona lernen wolle. Es wird nicht ganz klar, was das sein kann. Dabei schreit eine mit so jungen Sängern besetzte Umsetzung nach dem Kontakt mit jungen Menschen, die vielleicht noch keine Berührung mit dieser Kunstform hatten. Spätestens wenn nach Corona die Plätze der Oper sich womöglich erst langsam wieder füllen werden und vielleicht viele ältere Abonnenten nicht mehr zurückkehren, sollte man Konzepte haben, wie man mehr junge Menschen anspricht. Teile der Aufzeichnung zusammen mit Einführungen unter Einbeziehung zumindest jeweils eines der jungen Protagonisten könnten bei der Vermittlung helfen.       

Der Video-Stream ist auf dem YouTube Kanal der Hamburgischen Staatsoper vom 27. Januar ab 18 Uhr für 48 Stunden kostenlos zu sehen:  https://www.staatsoper-hamburg.de– warum eigentlich nicht länger? Danach vom 12.02. 2021bis 12.03. 2021 ebenfalls kostenlos auf der von der EU unterstützten Website Operavisionhttp://operavision.eu/en

Achim Dombrowski

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