Irisierendes Endzeitbild

Xl_quartett_302 © Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden Berlin

 

Quartett

Musik von Luca Francesconi 

Nach dem Schauspiel von Heiner Müller

Premiere der deutschen Erstaufführung am 3. Oktober 2020

In gewisser Weise war es doch eine (neue) Uraufführung dieser Oper, denn der italienische Komponist Luca Francesconi hat es sich für diese deutsche Erstaufführung des 2011 an der Scala in Mailand zuerst gespielten Werkes nicht nehmen lassen, den ursprünglich auf Englisch verfassten Text zurück in die Originalversion des deutschen Schauspiels von Heiner Müller zu übertragen. Das Schauspiel von Müller basiert wiederum auf dem Briefroman Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos aus dem 18. Jahrhundert und hat auch schon in Hollywood eine berühmte Verfilmung erfahren.

Wir begegnen zwei von ihrem eigentlich unbekümmerten und materiell gesicherten Leben angewiderte, und gelangweilte Vertreter des französischen Adels , einer Frau und einem Mann, die sich bei einer Spieldauer von rund 90 Minuten gegenseitig als Projektionsflächen für ihre Phantasien, gegenseitige Lust, Unterdrückung, Erniedrigung und Verletzung nutzen, und deren Überdruss aneinander und der Welt zu einem veritablen Endzeitbild gerinnt.

Müller bezeichnet den Ort seines Schauspiels als Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem dritten Weltkrieg. Die Szene im Bühnenbild von Barbara Hanicka ist fast raumfüllend mit der Betonhülle eines Atomkraftwerkes (oder doch der Weltkugel -?) ausgefüllt, die beschädigt und auf einer Seite wie eine eingeschlagene Eierschale aufgebrochen ist. Es herrscht über die gesamte Zeit ein diffuses, gräulich-dunkel eingetöntes Licht (gestaltet von Irene Selka und Artur Sienicki) mit nur in Ansätzen erkennbaren Videosequenzen (Artur Sienicki und Barbara Wysocka) , die in der Regel Bilder aus Bahnfahrten in gänzlich unbestimmten, seelenlos wirkenden Vorstädten oder überwiegend leeren Landschaften zeigen und so das Bild einer traumatisierenden Endzeitstimmung prägen.

Die Bühne dreht sich einige Male während des Abends um sich selbst und öffnet die Innenseite der großen Kugel zum Zuschauerraum. Dort sitzen und verzweifeln die beiden Protagonisten, die sich über weite Teile in unwirklichen Rollenspielen des Geschlechterkampfs begegnen. Das Leben wird schneller, wenn das Sterben ein Schauspiel wird meint Valmont und am Ende hofft er im Sterben schließlich, sein Spiel habe seine Partnerin nicht gelangweilt, denn das wäre unverzeihlich. Bei Müller verbinden sich diese für den Roman im 18. Jahrhundert geschriebenen, zynischen Worte mit den Auswirkungen auf eine beschädigte Gesellschaft Jahrhunderte später „... nach dem dritten Weltkrieg ...“

Die an der Staatsoper debutierende Regisseurin Barabara Wysocka erlaubt den Darstellern auf der Bühne dabei nur wenig Bewegung und interaktives Agieren. Dafür hat sich der männliche Partner – Vicomte de Valmont – wenn er in Rollenspielen als weiblicher Counterpart auftritt, wiederholt mit viel weiblich anmutendem Tüll zu umgeben. Daneben gibt es sehr zurückhaltend agierende, gelegentlich wie Doppelungen der Personen choreographierte Gesten von Francesca Ciaffoni.           

Die meiste Zeit jedoch verbringen die Darsteller in einer annähernd statischen, stark auf ihre Mimik und sehr feingliedrige Gestik beschränkte Dialogbegegnung. Dass das überhaupt gelang, liegt an den überragenden Persönlichkeiten der beiden Sänger. Mojca Erdmann ist gewissermaßen global bekannte und geschätzte Spezialistin für die Lulus der Opernbühne und verfügt über ein ausgezirkeltes Repertoire kaum wahrnehmbarer, scheinbar unterkühlter Ausdrucksnuancen, die ihr die Gratwanderung in der Rolle der Marquise de Merteuil, einer verzweifelten (doch nach Liebe suchenden -?) Frau ermöglichen. Ebenso vermag der niederländische Bariton Thomas Oliemans  zu überzeugen. Seine äußerlich starken, bis hin zum hündischen Kriechen reichenden Ausdruckmittel werden in Stimmführung und -färbung mit großer Bravour mit den notwendigen, vielschichtigen Zwischentönen versehen.      

Dabei sind die gesanglichen Anforderungen an beide Darsteller immens: die Skala reicht vom Spracheinsatz, über gleichsam rezitativische Teile bis hin zu im höchsten Register gesungenen Passagen. Die Stimmakrobatik ist dabei während des gesamten Abends in Einklang zu bringen mit den Einspielungen stark verfremdender elektronischer Musik und der Aufnahme von Chor und Orchester der Mailänder Scala als so vorgesehenes, unsichtbares Klangkonstrukt. Eine ganze Truppe von Mitgliedern des IRCAM – des von Pierre Boulez Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in Paris gegründeten Instituts für die Forschung von Akustik und Musik aus Paris und Mailand ermöglicht die anspruchsvolle Umsetzung dieses Klangraums. Es wird teilweise auf Einspielungen, die zur Uraufführung des Werkes in Mailand 2011 produziert wurden, zurückgegriffen. Dabei kann die Staatsoper gleichzeitig aber auch wirkungsvoll die moderne Klangtechnik des erst kürzlich renovierten Hauses präsentieren.   

Die Staatskapelle unter der Leitung von Generalmusikdirektor Daniel Barenboim ist insbesondere durch eine weit aufgefächerte Schlag- und Rhythmusgruppe charakterisiert, die bei weitem den größten Teil des Orchestergrabens ausfüllt. Daneben sind überraschend wenige Mitglieder des Orchesters, wie Streicher und vor allem hohe Flöten, engagiert. Daniel Barenboim muss dabei stets die Balance von Sängern, den Mitgliedern der Staatskapelle im Graben und den zugespielten Aufnahmen halten. 

Insgesamt entsteht ein szenisch-emotional eindringliches Bild der Verwüstung von Mensch und Welt durch Gefühlskälte, Leere, Erniedrigung und unwiederbringlicher Zerstörung. Die musikalische Form trotz all ihres technischen und in mehrfacher Sicht handwerklichen Könnens verbleibt etwas blass und ein wenig wie hinter einer Glasscheibe in Erinnerung. 

Das Publikum feiert das gesamte Team, mit viel Nachdruck, vor allem die beiden Sängerdarsteller. Auch der anwesende Komponist wird mit lang anhaltendem Applaus geehrt.                

Achim Dombrowski

Copyright: Monika Rittershaus

 

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