In Hamburgs neuer Lady Macbeth von Mzensk gelingt musikalisch eine sensible Erkundung der Sehnsucht nach Liebe

Xl_15_lady_macbeth_von_mzensk_c_monika_rittershaus © Monika Ritterhaus

Lady Macbeth von Mzensk

Dmitri Schostakowitsch

Hamburgische Staatsoper

Premiere am 22. Januar 2023 

besuchte Aufführung: 25. Januar 2023

Dmitri Schostakowitsch schrieb seine 1930 uraufgeführte, erste Oper Die Nase bereits im Alter von 24 Jahren. Neben der Entstehung und Aufführung einer Vielzahl von Werken in verschiedenen Genres - unter anderem drei Symphonien sowie diverse Filmmusiken - kam seine Oper Lady Macbeth von Mzensk 1934 zum ersten Mal in Leningrad zur Aufführung. Sie wurde unmittelbar ein großer Erfolg und trat über Moskau einen Siegeszug über die ganze Welt an.

Nach dem Besuch einer Aufführung des Werkes durch Stalin in Moskau 1936 erscheint der berüchtigte Artikel „Chaos statt Musik“ in der Prawda. In dem Artikel wird dem Komponisten vorgeworfen, sich nicht an die Parteilinie zu halten und Musik formalistisch und mit mangelnder Volksnähe zu schreiben.  Das Werk wurde von den Spielplänen in der Sowjetunion abgesetzt. Schostakowitsch hat in seinem Heimatland danach ein Leben lang unter Repressalien zu leiden. Er fürchtet um sein Leben und das Leben seiner Familie.

Die Oper basiert auf einer Erzählung von Nikolai Leskow, die dieser in Dostojewskis Zeitschrift Die Epoche1865 veröffentlichte. Darin wird die wahre Geschichte eines Mordes verarbeitet, welche Leskow aus seiner Arbeit beim Gericht in Kiew kannte.

Katerina Ismailow stammt aus ärmlichen Verhältnissen und heiratet den Kaufmann Sinowij. Sie kommt dadurch zu Reichtum und Ansehen, führt aber ein unerfülltes Liebesleben, zudem unter ständiger Drangsalierung des Schwiegervaters Boris. Sie verliebt sich in den Bediensteten Sergej und verbringt eine Liebesnacht mit ihm. Als Boris dahinterkommt, lässt er Sergej misshandeln und stellt Katerina nach. Katerina mischt ihm Rattengift ins Essen, woran er verstirbt. 

Auch ihren Ehemann Sinowij ermorden Sergej und Katerina. Auf ihrer Hochzeitsfeier wird die Leiche Sinowijs entdeckt. Die Polizei rückt an, das Hochzeitspaar wird verhaftet. Auf dem Weg in die Verbannung nach Sibirien betrügt Sergej Katerina mit einer jüngeren Frau. Katerina reißt die Konkurrentin mit sich in den Fluss, die beiden Frauen ertrinken.

Die Handlung der Erzählung spielt 1865 im autokratischen Russland der Zarenzeit mit seinen institutionellen Unterdrückungsmechanismen. Die Oper hingegen entsteht in den 30er Jahren der noch jungen Sowjetunion, die mittlerweile jedoch unter der tyrannischen Herrschaft Stalins die positiven Erwartungen Vieler nach der Oktoberrevolution enttäuscht hat und in ein repressives Gewaltsystem übergegangen war, das auch Schostakowitsch selbst bedrohte.

Von diesen politischen Elementen auf verschiedenen historischen Zeiten und Ebenen – die nach einer inhaltlichen Umsetzung nachgerade schreien - ist jedoch in der Inszenierung der russischen Filmemacherin Angelina Nikonova auf der Bühne und in den Kostümen von Varvara Timofeeva nichts zu sehen oder zu spüren.  

Es scheint, das russische Team ist möglicherweise derart von den aktuellen, bedrückenden Verhältnissen verstört, dass man sich in keiner Weise im Politischen erklären mag. Lieber verbleibt man in einer biederen Bebilderung der Szene. Diese umfasst dann auch unter den Weckgläsern des Gutes flitzende Ratten und reichlich Sternschnuppen am Himmel. Es rieselt der Schnee oder tobt gemessen ein Gewitter zu den klassisch-historisierenden Ausstattungsmerkmalen der Szene. Immerhin bringt im Hintergrund eine sensible Videokunst ungewohnte Naturbilder zur Geltung durch die fortlaufende Veränderung des Himmels sowie von im Winde bewegten Bäumen und Vogelschwärmen. 

Die Sänger dürfen fortlaufend an der Rampe mit Gesicht zum Dirigenten oder zur Souffleuse singen, was ihnen die Arbeit deutlich erleichtert.

Die Musik ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von satirisch-komischen, zynischen und auch sexuell-expressiven Komponenten, ausdrucksstarken Kontrasten und einer geradezu überbordenden Collagetechnik.   

Kent Nagano und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg gelingt es bei all dem, eine außerordentlich feinsinnige Interpretation umzusetzen, die in erster Linie den Sehnsüchten Katerinas nach-hört und in den Holz- und Blechbläsergruppen eine nicht geahnte zarte Durchhörbarkeit schafft, die man bei diesem Werk noch nicht wahrgenommen hat. Das schließt heftige Kontraste nicht aus, wenn im dritten Akt bei der zynischen Beschreibung der Polizeiaktionen das Orchester in brodelnder Rhythmik und ausgeprägter Spielfreude seinem Affen Zucker geben darf. Eine wahre Freude!

Das Konzept des Generalmusikdirektors geht auch auf der sängerischen Seite auf. Camilla Nylund als Katerina besticht mit einer sängerisch überzeugenden Darstellung der Sehnsüchte, Frustrationen und Hoffnungen der verzweifelten Frau. Nicht zuletzt im Schlussbild auf dem Weg in die Verbannung nach Sibirien, wenn sie unter allmählichem Realitätsverlust ein Kleinkind in den Armen zu wiegen glaubt. In inniger Introspektion gelingt der Nylund schon unmittelbar in diesem Rollendebut eine ergreifende Verkörperung dieser leidenden Frau. 

Auch die Männerriege ist glänzend besetzt. Alexander Roslavets als Schwiegervater Boris gibt den frauenfeindlichen, brutalen Schwiegervater stimmlich und in der Darstellung mit großer Intensität. Katerinas Aussichtslosigkeit ist nicht zuletzt durch seine unaufhörlichen, erniedrigenden Attacken verdeutlicht.     

Sergej von Dmitry Golovnin hat als erfahrener Verführer bei Katerina leichtes Spiel. Seine Durchtriebenheit bei der Verführung der anderen jungen Frau in der Verbannung lässt bei Katerina eine Welt einstürzen. Der Sinowij von Vincent Wolfsteiner stellt überzeugend einen endlos schwachen Ehemann dar, von dem Katerina nichts zu erwarten hat.

Die weiteren Rollen sind bestens vertreten, hervorgehoben sei Karl Huml als Polizeichef und Tigran Martirossian als Pope.

Der Chor der Staatsoper Hamburg unter der bewährten Leitung von Eberhard Friedrich rundet die sängerische Seite der Aufführung perfekt ab.

Viel Beifall für die Sänger und die Hamburger Philharmoniker mit Kent Nagano.     

Achim Dombrowski

 

Copyright: Monika Rittershaus 

 

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