In der Hamburger Musikhochschule singen und spielen zehn großartige junge Sänger

Xl_5a58fe06-c819-4453-911d-9d26352ad736 © Jörg Modrow

Le Nozze di Figaro
Premiere am 05.06. 2022

Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Reihe junges forum Musik und Theater

 

In der auf dem Schauspiel Beaumarchais‘ beruhenden Handlung von Figaros Hochzeit erlebt man den Kampf des Dienerpaares - Susanna und Figaro - um die Erlaubnis des Grafen für ihre Hochzeit. Dieser verweigert seine Zustimmung in der Hoffnung, Susanna zuvor selber noch zu erobern. Wesentlicher Motor der Dynamik ist dabei die Komplizenschaft Susannas mit der Gräfin, will diese doch die Untreue ihres Mannes – des Grafen – durch eine fingierte Einladung Susannas und Kleidertausch mit ihr beweisen, ihn entlarven und bloßstellen. Die Verkleidungsintrige gelingt. Der Graf zeigt sich reuig. Aber existiert die alte Liebe zur Gräfin noch und hat sie Bestand?

Schauspiel wie Oper wurden z Z der Entstehung 1786 dramaturgisch so geformt, dass sie die Zensur passieren konnten, zumindest zeitweise. Die Konnotationen des Aufbegehrens gegen das alte Regime wurden in Europa wohl verstanden. Wenn nun alle angestrebten Freiheiten, um die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so gerungen wurde, existieren, was kann uns Mozarts und da Pontes Meisterwerk neben einem historischen Rückblick heute vermitteln? 

In einer bedeutenden Neuinszenierung von Lydia Steyer in Hannover wurden noch vor kurzem die gesellschaftlichen Aggressionen anlässlich umwälzender Veränderungen am Ende des 18. Jahrhunderts vor der Französischen Revolution beleuchtet und die ungewissen Ideale der Zukunft hinterfragt. 

Der Regisseur und Lehrstuhlinhaber für szenisch-musikalischen Unterricht an der Hochschule für Musik und Theater (HfMT)  in Hamburg - Professor Christian Poewe - ist selbst ausgebildeter Schauspieler und seit Jahren Opernregisseur. Mit Poewe zusammen hat das Team eine eigene Fassung erarbeitet. 

Der Regisseur betont eine positive Sicht auf das Leben und sieht in der komplexen Vorlage auch die Themen von Planung und Kontrolle des eigenen Lebens behandelt, bzw. deren potentielles Scheitern. Die Botschaft enthält – wie im Interview des Programmheftes mit Poewe abgedruckt - gewissermaßen eine Aufforderung, sich nicht nur auf das Funktionieren der Lebenspläne zu fokussieren, sondern Frieden zu schließen mit der Unberechenbarkeit, der Unwägbarkeit des Lebens. Jeder will Teil einer Gemeinschaft sein und ist auf die humanistische Haltung des gegenseitigen Verzeihens angewiesen. Eine solche weniger politische Sichtweise wäre vor einigen Jahren an einer deutschen Universität unwahrscheinlich gewesen.      

Das Bühnenbild von Anna Brandstätter besteht aus einem Holzaufbau, der durch unregelmäßige und nicht immer gleich zu erkennende Luken und Öffnungen unterbrochen wird. Hier weiß man nie, wie und wo jemand zuhören oder unmittelbar in den Raum eintreten kann. Im weiteren Verlauf werden zunehmend Öffnungen sichtbar, ohne dass wirklich das Gefühl der Offenheit entsteht.

Die Kostüme von Jana Mehner und Katrin Unger sind in Zusammenarbeit mit und durch Unterstützung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) - Fakultät Design, Medien und Information - unter der Leitung von Prof. Reinhard von der Thannen entstanden – eine der Kooperationen, die es der Musikhochschule überhaupt erst ermöglicht, eine Produktion einer so umfangreichen Oper wie des Figaro zu realisieren.

Die Kostümkreationen führen in die Zeit der 80er Jahre. Sie sollen Ausdruck einer Welt mit einer ungehemmt lebenslustigen, möglichst unbeschwerten und nicht enden wollenden Feierstimmung sein. Es werden viele Hütchen getragen wie bei einer Karnevals - oder Partyveranstaltung. Allerdings bleibt in einem solchen Ambiente immer wieder auch schnell das Individuum zurück, das gerade nicht an dem Spaß teil hat, enttäuscht oder wütend ist, wie wiederholt Figaro, der immer wieder seine Hochzeits- und anderen Pläne scheitern sieht.

Wieder ist es der Hochschule gelungen, in einer Opernproduktion ein mehr als eindrucksvolles Sängerensemble bei zehn Solorollen aus nicht weniger als neun verschiedenen Nationen zusammenzubringen. 

Der Figaro ist eine der Opern, die in vielerlei Hinsicht ganz maßgeblich durch die Frauen getragen und kontrolliert wird. Mit Mina Yu als Gräfin Almaviva und Sophia Keiler als ihre Kammerzofe Susanna entwickelt sich ein ganz wunderbares Zusammenwirken. Die Verabredungen der Frauen zur Verkleidung, die Hoffnung auf Lösung der Spannungen, das Herbeisehnen der verlorenen Liebe werden in ihren Arien und Duetten im zweiten Akt der Oper sängerisch und darstellerisch brillant auf den Punkt gebracht. Die Partien sind durch eine unendliche Tiefe gekennzeichnet, denen auch sehr erfahrene Sängerinnen immer wieder neue Facetten abgewinnen können. Es ist um so bewundernswerter, wie differenziert die jungen Sängerdarstellerinnen ihre Partien erfüllen.

Der Graf von Maksymilian Skyba erstaunt zunächst durch seinen Auftritt in bodenlangem Mantel und silbernen Zylinder mit Bemalung im Gesicht, die an Frank Zappa oder Stilelemente bei Rockband AC/DC erinnern. Es ist nicht ganz leicht, mit diesem fortwährend optisch starken Accessoires eine eigene Persönlichkeit auszuprägen, auch wenn der Part gesanglich überzeugend vorgetragen wird.

Feng Sun beweist nach der Teilnahme an so anderen Produktionen wie Rinaldo und insbesondere auch als Alberich im Rheingold seine geradezu grenzenlose Wandelbarkeit durch seine bewegliche Interpretation des Figaro.

Oscar Marin-Reyes als Bartolo bringt eine schier unbändige Bühnenpräsenz auf die Szene. In einem Interview berichtet er, dass er nicht weniger als dreizehn Jahre mit Verve Tuba gespielt hat, bevor ihn die Leidenschaft für die Opernbühne erwischt hat. Der junge Sänger aus Guatemala mit seiner ansteckend-positiven Ausstrahlung sollte ganz unbedingt der Oper erhalten bleiben.     

Delia Bacher als verwirrt-verwirrender Cherubino und Weronika Prościńska als exaltierte Marcellina überzeugen mit abgerundeten Darstellungen.  

Ein kleines darstellerisches und gesangliches Juwel bringt Carmen Callejas in ihrem Rollenportrait als Barbarina auf die Szene. Sie changiert genau auf der Gratwanderung zwischen unschuldigem Mädchen und junger Frau, die ihre nicht nur erotischen Ziele zielsicher zu verwirklichen weiß.  

Die kauzigen Darstellungen von Andris Kipluks als Basilio und Don Curzio sowie Tim Winkelhöfer als dauer-bekiffter Antonio runden das spielfreudige Ensemble in perfekter Weise ab.    

Es existiert eine alternierende Besetzung für fast alle Rollen aus weiteren jungen Sängern und Sängerinnen, die die andere Hälfte der insgesamt acht Vorstellungen im Juni singen werden. Ein Event, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

Eine weitere wichtige Kooperation der Musikhochschule für die Realisierung dieser Opernproduktionen besteht mit den Symphoniker Hamburg. Willem Wentzel hat hierbei wiederum die routinierte musikalische Leitung innegehabt.

Großer Beifall der gut besuchten Premiere – beste Aussichten also für den Sängernachwuchs an den Opernbühnen, wo auch immer in der Welt. 

Achim Dombrowski

Copyright: Jörg Modrow

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading