Hohepriesterinnen in globaler Männerwelt

Xl_974dd9f8-06f1-4012-a3c2-557a5467af30 © Staatsoper Dresden / Ludwig Olah

Semperoper Dresden

Vincenzo Bellini

Norma

Premiere am  02. Oktober 2021

Die Semperoper Dresden realisiert eine szenische Umsetzung von Bellinis Norma in der Regie vom Altmeister Peter Konwitschny

Für den Regisseur Peter Konwitschny verändert sich menschliches Verhalten auch in Äonen nicht. Sei es in Vorzeiten bei den Druiden oder im modern-kühlen Umfeld eines Konzerns - immer wird die Persönlichkeitsbildung eines Menschen durch das dominierende System geprägt. Norma ist in erster Linie eine Frau, die in einem System, das durch Besitz, Macht und Gewalt begründet ist, agiert. Sie stellt sich aus Liebe zu einem Agressor der Gegenpartei gegen die Gewaltimpulse der eigenen Leute. Als sie sich von dem geliebten Mann verraten sieht, gibt sie jedoch Gewalt und kriegerischer Auseinandersetzung freie Bahn. Krieg durch Vertrauensverlust und Verrat von Männern, die Frauen seit jeher nur als Objekte begreifen. 

Für Bühne und Kostüme zeichnet Johannes Leiacker verantwortlich. Die Druiden agieren im finsteren Wald, der aus einem Comic stammen kann, genau wie die Haartrachten der Frauen und Männer. Diese sind farblich durch eine Art Trump-Gelb mit Zöpfen gekennzeichnet, die insbesondere beim Chef-Gallier Oroveso – dem Vater Normas – kunstvoll geknüpft sind wie bei Obelix in seinem Gallierdorf. 

Der Männerchor in seinem Kriegsdurst rennt sich in blindem Eifer auch schon mal selbst über den Haufen und ist allenfalls durch den Priesterinnenkult der Norma für eine bestimmte Zeit zu besänftigen. Als diese sich später außerhalb des Priesterinnenzeremoniells in Erwartung ihres Liebhabers Pollione schminkt, wird diese private, frauliche Seite der hohen Amtsträgerin mit Unverständnis und Entsetzen von den Männern und Frauen der Gallier wahrgenommen, denn Norma unterliegt einem strengen Zölibat, wenn sie das hohe Amt ausführen will.

In der privatesten Szene, in welcher Adalgisa Norma ihre Liebe zum selben Mann gesteht, ohne zu wissen, dass ihre Norma eine Beziehung mit Pollione unterhält und  zwei Kinder von ihm hat, spielt die Handlung gleichsam in einer Art Wohnzimmer mit annährend kleinbürgerlichen Ausstattungsutensilien. Die Frauen und später Pollione liefern sich in diesem Umfeld einen handfesten Streit. 

Im zweiten Akt hat in der Inszenierung die globale Männerherrschaft gesiegt – wir sind nach einem riesigen Zeitsprung im Hier und Jetzt angekommen. Jetzt sind PC und Tastatur die Insignien der kalten, herzlosen Macht und des Einflusses. Alle Beteiligten sind in einheitliche moderne Geschäfts- und Hosenanzüge gekleidet, besser gesagt: uniformiert, allerdings bei unveränderter Frisurenpracht.  

Adalgisa versucht vergeblich, Pollione zur Rückkehr zu Norma – und seinen eigenen Kindern - zu bewegen. Norma bekennt sich – nachdem sie sich ihre Einsamkeit und den Verlust ihrer Liebe eingestehen muss - vor den Gefolgsleuten zu ihrem Verrat, einen Anführer der Gegenpartei – gewissermaßen der Konkurrenz - zu lieben mit ihm zwei Kinder zu haben. Bevor sie diese Welt verlässt, die ihr alle Liebe, Kraft und Zuversicht geraubt hat, überlässt sie ihre Kinder dem verwirrten und überforderten Vater und Clan-Chef der Gallier. Er versteht sie bis jetzt nicht.

Bei der Personenführung kommt es Konwitschny darauf an, die sich angesichts ihres Leids zueinander öffnenden und unter der Männerherrschaft leidenden Frauen sensibel zu führen. Das sind auch die Passagen der Oper mit der innigsten musikalischen Anmutung. Alle handelnden Personen agieren wie reale Menschen. So wirft Norma – ganz anders als in hoheitlicher Priesterinnen-Haltung – auch schon mal aus Wut und Verzweiflung angesichts des Verrats, den sie durchleiden hat, Gegenstände mit lautem Effekt durch die Wohnung. 

Trotz der überraschenden, manchmal holzschnitt-artigen Bildwelten, die leicht das Interesse auf sich fokussieren können, kommt die musikalische Seite der Aufführung angesichts einer rundum stupenden gesanglichen und orchestralen Meisterleistung bestens zur Geltung.

Da sind zunächst die beiden vertrauten Frauen Norma und Adalgisa. Ihre Rollenportraits, insbesondere aber die Duette von Yolanda Auyanet als Norma und Stepanka Pucalkova als Adalgisa prägen die Höhepunkte des Abends. Die abgestufte Linienführung des Gesangs beider Protagonistinnen, die makellose Feinabstimmung der rhythmischen Tongebung und die selbst im fragilsten, verletzlichsten Pianissimo glänzend zu einer Gesangslinie zusammenwachsenden Stimmen lassen das Haus den Atem anhalten.  

Einen kraftvoll-männlichen Pollione gibt Dmytro Popov, der sich darstellerisch in ausgeprägter Machohaltung am besten zusammen mit seinem Freund Flavio – gesungen von Jürgen Müller – präsentiert.

Alexandros Stavrakakis gibt einen klangschönen, darstellerisch von seiner Tochter überforderten Chef-Gallier Oroveso. Auch die weiteren Partien sind mit Roxana Incontrera als Clothilde, und der jungen Tempelwächterin Leonie Nowak mehr als angemessen besetzt. 

Der Sächsische Staatsopernchor unter der Leitung von André Kellinghaus singt durchhörbar und wenn es sein muss auch mit großer Kraft bei den Kriegsaufrufen.

Die Sächsische Staatskapelle spielt unter Gaetano d’Espinos mit mustergültiger Durchsichtigkeit, feinster Rhythmik und klangschönem Zusammenspiel insbesondere im Klanggeflecht mit den Holz- und Blechbläsern. Man stelle sich einmal vor, die großen Sängerinnen der 50er oder 60er Jahre hätten bei der Wiederentdeckung des Belcanto-Repertoires eine solche Begleitung gehabt. Ein ausgesprochen eindrucksvolles Beispiel, wie sich die Orchesterkultur über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt hat. 

Bis auf einen einzelnen Buhruf Applaus für alle Beteiligten der Produktion, wobei vor allem der Dirigent d’Espinosa und die Staatskappelle lautstark gefeiert wurden. Publikumsliebling des Abends war allerdings Stepanka Pucalkova, die immer wieder mit den lautesten Jubelrufen bedacht wurde.    

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Semperoper Dresden, Ludwig Olah

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