Hippolyte in Berlin- Rameaus Barockoper in Lichteffekten verglitzert

Xl_9131__90_ © Karl und Monika Forster

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

 

Hippolyte et Aricie

Jean-Philippe Rameau

Premiere am 25. November 2018

 

Die letzte Aufführung einer Rameau Oper an der Staatsoper ist rund 275 Jahre her. Zu Beginn der Barocktage 2018 bringt das Haus nunmehr eine Neuproduktion von Hippolyte und Aricie heraus. Unter der Leitung von Sir Simon Rattle spielt das Freiburger Barockorchester als eines der führenden deutschen Ensembles für Barockmusik mit etwa 50 Musikern, es singt der Staatsopernchor in der Einstudierung von Martin Wright mit etwa 40 Mitgliedern, es tanzen elf Tänzer und es versammelt sich ein renommiertes Solistenensemble unter Einbeziehung von diversen Mitgliedern des Internationalen Opernstudios der Staatsoper auf der Bühne. Großer Aufwand also und hohe Erwartungen. 

Die erfolgreiche Realisierung einer Barockoper für den heutigen Zuhörer ist keine leichte Angelegenheit. Allein die Vermittlung der in den Werken dominierenden Themenkomplexe zur griechischen Mythologie und zum zeitspezifischen, barocken Naturempfinden, der aktuelle Umgang mit den für die Zeit beeindruckenden Theater- und Maschineneffekten stellt eine nicht unerhebliche Herausforderung dar. Dabei ist maßgeblich, eine feine Balance zwischen heute wirksamen Bühneneffekten und der einfühlsamen Präsentation einer verinnerlichten Musik mit Gesang und Tanz zu finden. Die Welten von Gesang, Tanz, Musik und dem Bühnengeschehen müssen sich ergänzen, sich gemeinsam tragen, dürfen sich keinesfalls gegenseitig relativieren. Vorangegangene, erfolgreiche Produktionen haben es verstanden, bei noch so überraschendem Bühnengeschehen den Sängern eine exponierte Präsentationsplattform zu bieten, die eine Konzentration auf die Feinheiten des Gesangs und der Musik nachgerade unmerklich erzwingt.  

Für Inszenierung und Choreographie zeichnet Aletta Collins verantwortlich. Sie hat umfangreiche Erfahrungen im Tanztheater und der Oper, und hat insbesondere in England an vielen bedeutenden künstlerischen Institutionen erfolgreich gewirkt. Bühnenbild, Lichtgestaltung und Kostüme kreiert der dänisch-isländische Künstler Olafur Eliasson, der sich mit physikalischen Erscheinungen in der Natur beschäftigt und mit poetischen Installationen in Museen und in der Public Art hervorgetreten ist. Die Beschäftigung mit Licht in vielerlei Erscheinungsformen steht dabei oft im Mittelpunkt.

Ein ideales Team sollte man also meinen. Die szenische Umsetzung misslingt jedoch. Der Zuschauer wird in einem ununterbrochenen Szenarium von Lichteffekten, Laserstrahlen und Nebel gehüllt, allesamt Aktionen, die die Konzentration eben nicht auf die Musik lenken, sondern massiv von ihr ablenken. Auch die Sänger agieren oft mit Lichteffekten über Kopfinstallationen oder wie mit großen Taschenlampen, die dem Zuschauer im Extrem unmittelbar ins Gesicht stechen und/oder in Kostümen, die über und über in glitzernden Paletten vor sich hin funkeln, stilistisch jedoch insgesamt keine Einheit bilden, geschweige denn dem Geist von Musik und Handlung gerecht werden. Das kann auch eine riesige Diskokugel, die für eine Weile heruntergelassen wird und vor sich hin blinkt, nicht bewirken. Die bewegten Wasserbilder auf der gesamten Fläche des hinteren Bühnenhorizontes im zweiten Teil der Aufführung faszinieren zunächst, erstarren aber als Idee im Laufe der Zeit zu einer selbstgefälligen Bewegungsinstallation, die einfach keine Ruhe gibt und die im Vordergrund agierenden Protagonisten schon in der Größenperspektive verzwergt und eben nicht die Fokussierung auf Musik und Gesang befördert.  

Selbst die hoch-engagierten Tänzer müssen in einer überwiegend beliebigen und einfallslosen Bewegungsfolge agieren, die weder ihren eigenen Fähigkeiten noch der Musik gerecht wird. Trauriger Höhepunkt sind die ganzkörper-schwarz gekleideten Künstler vor schwarzem Hintergrund. Wenig originell, vor allem kaum sichtbar.

Reinoud van Mechelen als Hippolyte und Anna Prohaska als Aricie überzeugen gesanglich ohne Fehl und Tadel, werden allerdings durch keinerlei sinnhafte Personenführung unterstützt. Gesanglich überwältigend auch Magdalena Kozena, die durch ihr ureigenes Talent die Phädra im Glitzerkostüm darstellerisch überstark pointiert, was ihr jedoch nur anzukreiden wäre, wenn denn überhaupt ein Konzept vorhanden gewesen wäre, an das sie und andere Protagonisten sich hätten halten können. Theseus von Gyula Orendt und die Diana von Elsa Dreisig müssen auf der stimm-darstellerischen Seite hervorgehoben werden, weiterhin seien an dieser Stelle aus dem Kreis der insgesamt tadellosen Solisten Roman Trekel als Tisiphone und Adriane Queiroz als Önone besonders erwähnt. Alle Solisten bewegen sich entweder mangels Personenführung oder durch das Bewältigen von einengend zu tragenden Kostümen oder überdimensionierten Lichtinstallationen am Kopf unbestimmt und unwirklich über die Szene.  

Sir Simon Rattle dirigiert einen sinnenfrohen, tendenziell üppigen Rameau, wobei er sich auf die dritte, schon vom Komponisten selbst gekürzte Fassung von 1757, insgesamt 24 Jahre nach der Uraufführung entstanden, stützt. Puristen mögen einen waschechten Barockspezialisten mit strengerer Tongebung bevorzugen. Solisten, Chor und Orchester formen unter der Leitung des Dirigenten jedoch eine so überzeugende Einheit, dass man gegen die stilistische Formung hier nichts einwenden kann. Denn an dieser Stelle wenigstens, ganz im Kern der Musik, entsteht schließlich auf höchstem Niveau eine fokussierte Konzentration auf die Musik, die für das Erleben dieses Werkes unerlässlich ist.

Viel Applaus und bravifür die Sänger, das Freiburger Barockorchester und den Chor der Staatsoper, sehr viele lautstarke Missfallenskundgebungen für Aletta Collins.

Zwei Tage nach der Premiere und mitten in der Berliner Aufführungsserie an der Staatsoper gastiert das gesamte musikalische Team zu einer konzertanten Aufführung in der Elbphilharmonie in Hamburg. Es ist anzunehmen, dass diese Darstellungsvariante dem Werk diesmal (leider) gerechter wird als der szenische Versuch. Bleibt zu hoffen, dass die Berliner nicht weitere 275 Jahre auf die Realisierung einer neue Rameau-Oper warten müssen.

Achim Dombrowski

Copyight Photos: Karl und Monika Forster                      

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