
Staatsoper Hannover
Lohengrin
(Richard Wagner)
Premiere am 14.09.2025
Alles anders in Hannover: die Spielzeit 2025/26 startet mit dem neuen Intendanten Bodo Busse mit einer Lohengrin-Inszenierung. Die letzte Produktion des Werkes im Hannoveraner Haus liegt nunmehr 37 Jahre zurück. In nicht weniger als fünf der tragenden Rollen geben Sängerinnen und Sänger ihr Rollendebut – und das durchweg sehr erfolgreich.
Für seinen Einstand hat sich Busse nach Frankreich orientiert: Die Produktion entsteht in Zusammenarbeit mit der Opéra National de Lyon. Der französische Regisseur Richard Brunel hat ein umfangreiches Team für die szenische Umsetzung an seiner Seite.
Für Brunel ist das Leben der Menschen zu Zeiten der Lohengrin-Handlung geprägt durch Unsicherheit, Auseinandersetzungen um Macht, schließlich durch Kriege. Es sind auch Zeiten des Todestriebes. Dieser Ausgangspunkt erfordert gemäß Aussage des Regisseurs eine „psychoanalytische Lesart“.
Umgesetzt wird dieser Ansatz dann durch eine überaus konkrete Spielhandlung, die jedem Zuschauer unmittelbar Handlung, Ereignisse der Vorgeschichte und historische Gegebenheiten mehr als deutlich szenisch vorführt. Da ist für jeden etwas dabei: der erfahrene Wagner-Veteran wird an die historische Einbettung der Handlung gemahnt, jüngere Zuschauer erleben in einer Art sehr konkreten Edutainments alles, was man an Bildern der äußeren Handlung erfahren kann.
So wird der Mord an Elsas Bruder Gottfried durch Ortrud – der in der Oper nicht gezeigt wird - gleich zweimal wie in einer Traumatisierung nachgespielt. König Heinrich erscheint mit Rucksack und trägt auf langer Wanderschaft schwer an der Bürde seiner Krone, die er immer wieder befreiend vom Kopf nimmt und später durch eine militärische Kopfbedeckung ersetzt. Die Einigung des Reiches vor neuen Kriegen ist eine mühevolle Aufgabe.
Ab dem zweiten Akt gelangt die Szene nahezu ausschließlich in den überwältigenden bildlichen Sog der „Generalmobilmachung“. Elsas Gang zum Münster - zur Trauung - wird szenisch ersetzt durch die Einschreibung auch der Frauen zum Militärdienst durch König Heinrich selbst. Ein Brautgemach gibt es nicht. In einem militärischen, gekachelten Funktionsraum bereitet Elsa Lohengrin eine einfache Mahlzeit. Dazu gibt es Mineralwasser. Elsa stellt die alles-entscheidende, verbotene Frage an Lohengrin in der Nüchternheit der notwendigen Handlungen zur Kriegsertüchtigung.
Potentielle Deutungsansätze zu anderen inhärenten, übergeordneten Themen- oder Konfliktpotentialen wie der Notwendigkeit und des Wertes eines absoluten, positiven Vertrauens und damit menschlich-tragisch verbunden die Verführbarkeit von Individuum und Kollektiven, haben es in dieser eng-geführten, realistischen Bebilderung schwer, sich beim Betrachter zu entwickeln.
Der Schluss ist gänzlich offen gehalten. Lohengrin verlässt nicht die Gemeinschaft, sondern wird von Ortrud brutal erstochen. Elsa, die gerade noch seinen militärischen Mantel als Zeichen der kriegerischen Verantwortung auf den Schultern trug, entledigt sich dieser Bürde und wirft auch ihre eigene Uniformjacke mit mädchenhaft-schmollender Bewegung von sich – eine Anti-Kriegs-Geste?
All diese Bilder formen sich nicht zu einem durchgehenden, inhaltlich geschlossenen Interpretationskonzept.
Die Bühne von Anouk Dell’Aiera ist in den Nachtszenen durch Elemente schwarzen Gefieders geprägt. Die Kostüme von Natalie Pallandre greifen hingegen bei Lohengrin Elemente weißen Gefieders für die Schwan-Symbolik auf. Die Erscheinung des Schwans gibt es nicht, es schweben sanft weiße Federn vom Bühnenhimmel. Die Szene ist optisch im zweiten Teil des Abends von archetypischen, rote Militäruniformen geprägt.
Maximilian Schmitt überzeugt im Rollendebut als Lohengrin in außerordentlicher Weise und lässt keine Wünsche offen. Es wird spannend sein, zu verfolgen, wie der Sänger seine stimmliche Souveränität und Ausstrahlung womöglich noch steigern kann.
Die Partie der Ortrud scheint Ewa Vesin auf den Leib geschrieben zu sein, so sehr überzeugt die polnische Sängerin durch ihre darstellerische und stimmliche Gestaltung schon in ihrem Debut in dieser anspruchsvollen Partie.
Auch das Debut der Litauerin Viktorija Kaminskaite als Elsa gelingt überzeugend, wenngleich die Stimme in den Höhen nicht immer wirklich offen wirkt.
Der Telramund von Grga Peroš setzt bei all den durch das Libretto vorgegebenen darstellerischen Merkmalen der Schwäche dieses Charakters stimmlich grandiose Höhepunkte bei klarer sprachlicher Diktion – ebenfalls ein überzeugendes Rollendebut.
König Heinrich wird vom erfahrenen Shavleg Armasi gegeben. Als einer der wichtigsten Ensemblemitglieder der Hannoveraner Oper überzeugt Armasi auch in dieser Partie wieder mit souveränem Auftritt und charaktervoller stimmlicher Ausdruckskraft.
Schließlich brillierte Peter Schöne im Debut als Heerrufer mit klarster Diktion und stimmlicher Prägnanz.
Chor und Extrachor der Staatsoper Hannover mit der Leitung von Lorenzo Da Rio können in den umfangreichen Aufgaben tadellos überzeugen. Stephan Zilias und das Niedersächsische Staatsorchester Hannover entfalten mit nicht übermäßig schnellen Tempi ein farbenreiches Klang-Panorama, das die verschiedenen Sängerpersönlichkeiten sowie die Chöre liebevoll stützt und bei den Zwischenmusiken auf eigene Weise brilliert.
Großer und lang anhaltender Beifall des Premierenpublikums für alle Mitwirkenden auf der musikalischen Seite, jedoch auch Proteste beim Regieteam.
Achim Dombrowski
Copyright Fotos: Bettina Stöß
20. September 2025 | Drucken
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