© Matthias Baus
Hamburgische Staatsoper
Ruslan und Ljudmila
(Michail Glinka)
Premiere 9. November 2025
Die zweite Produktion der Spielzeit an der Hamburgischen Staatsoper wurde von dem vielbeschäftigten ungarischen Regie-Duo Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka erarbeitet: Michail Glinka’s im deutschen Sprachraum selten gezeigte große Zauberoper Ruslan und Ljudmilla.
Das Werk ist eine der ersten Opern in russischen Sprache und wurde 1842 - im selben Jahr wie Nabucco und Der Fliegende Holländer – in St. Petersburg uraufgeführt. Am Text der auf einem Poem von Puschkin beruhenden Oper haben neben dem Komponisten nicht weniger als fünf weitere Librettisten mitgewirkt – entsprechend verworren erscheint mitunter die Handlungsfolge. Die letzte Inszenierung im Hamburger Haus wurde in den 60er Jahren erarbeitet.
Auf dem Besetzungszettel ist die zentrale Fragestellung des Inszenierungsteams hervorgehoben: „Wie kann die Hoffnung einer jungen Generation gegen die Gewalt einer kriegerischen Obrigkeit bestehen?“ Der Zuschauer erlebt die Flucht Ljudmilas aus heteronormativem, patriarchalischen und unterdrückerischem gesellschaftlichen Umfeld in eine magische, ausgedehnte Märchen-Welt potentiell vielschichtiger und freier Liebesbeziehungen, u.a. in der queeren Szene.
Die beiden Regisseurinnen kreieren selbst Bühnenbild und Kostüme. Die Szene spielt zu weiten Teilen einerseits in einer kalten Repräsentationswelt eines unbarmherzigen, autokratischen Vaters, andererseits in den unterirdischen Welten eines Einsamkeit verströmenden U-Bahn Systems mit Graffiti à la Banksy. Die Videokunst steuert Janic Bebi und die Lichtregie Bern Gallasch bei. Die optischen Anmutungen der Bauten und Kostüme verweisen auf Architektur und Stilistik im sozialistischen Raum.
Essays von Journalistinnen und Buchautorinnen befassen sich im Programmheft in Originalbeiträgen mit dem Frauenbild von „... Glinka bis Putin“ und „Gegenkulturen im heutigen Russland.“ Im Interview sieht Magdolna Parditka ... die Frau in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen als Opfer und „... Projektionsfläche für eine jungfräuliche, willenlose Weiblichkeit...“, die „...nicht als selbstbestimmtes Wesen in Erscheinung tritt.“
Das Bild des in sozialistischen Ländern vielfach betriebenen Eiskunstlaufs wird herangezogen, um die Qualen Ljudmilas bei der vom Vater erzwungenen, unbarmherzig nach Perfektion heischenden Ausübung dieser Sportart zu zeigen, die sie depressiv, suizidal und tablettenabhängig macht. Paare im Eiskunstlauf werden wie „... das idealisierte Bild eines Paares nach gängigen, heteronormativen Vorstellungen“ (Szemerédy) empfunden.
Die Entwicklung der Märchenopern-Handlung folgt dann recht frei genau diesen theoretischen – mittlerweile seit Jahrzehnten vertrauten - Setzungen. Die Aufmachung der queeren Szenerie folgte dem allseits bewährten Muster mit Lackfummel, Strapsen und Korsagen sowie der weiterentwickelten (inter*inclusive) Regenbogenfahne.
Die Darstellung der Unterdrückung der Frau wie auch der queeren Szene in beliebigen slawischen Märchen (oder anderweitigen Darstellungen) ließ sich andernorts schon oft und besser zeigen, z B in der Oper Rusalka – auch hier wurden psychologische Angstbilder aus der Großstadt oder sexuell vielschichtige Orientierungen verarbeitet, und zwar deutlich eindrucksvoller.
Die Darstellung russischer (oder slawischer) Verhältnisse auf einer Hamburger Bühne kostet jedenfalls nichts: mit Repressalien für die Künstler ist in der Hansestadt nicht zu rechnen.
Barno Ismatullaeva ist so etwas wie ein rettender Engel für die Hamburger Opernbühne. Sie war vor wenigen Jahren bereits als Norma kurzfristig mit glänzendem Erfolg eingesprungen, sang eine bewegende Elisabetta in Donizettis Maria Stuarda in der letzten Spielzeit und ist auch in dieser Produktion für eine andere Sängerin in der Rolle der Ljudmila in die Hansestadt gekommen.
Auch in der Partie der Ljudmila konnte sie aus dem Vollen schöpfen: zwischen sensitiv-strömenden Belcanto-Linien und russischem Schmelz vermag sie stimmlich restlos zu überzeugen. Die Weite und Vielfalt der Stimmungswelten zwischen Hoffnung, Melancholie und Verzweiflung werden in einzigartiger Nuancenvielfalt zu Gehör gebracht.
Ilia Kazakov ist neues Ensemblemitglied am Hamburger Haus und konnte als Ruslan mit schlankem, aber nicht weniger sonoren Bass seinen außerordentlich erfolgreichen und bejubelten Einstand geben.
Der Zauberer Finn wird stimmlich souverän und darstellerisch mit Verve und vielschichtigen Facetten von Nicky Spence verkörpert.
Dem Countertenor Artem Krutko gelingt in der Rolle des Ratmir eine feinnervige Verkörperung, wie auch die Gorislawa von Natalia Tanasii zu überzeugen vermag. Die Hexe Naina wird mit verführerischem Charme von Kristina Stanek gegeben.
Alexei Bodnariuc als Fralaf und Alexander Roslavets als Ljudmilsas Vater Swetosar runden das Ensemble harmonisch ab.
Der Chor der Hamburgischen Staatsoper mit Alice Meragaglia findet sich rhythmisch nach ersten Unsicherheiten in die ungewohnten Aufgaben gut ein.
Das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg mit Azim Karimov beweist sensibles Fingerspitzengefühl in der Vielfalt der musikalisch so unterschiedlichen Komponenten und Stilelemente der Partitur, die in der späteren russischen Musikgeschichte einen so großen Einfluss hat.
Das Publikum feiert die Sänger und das Orchester mit Karimov. Beim Regieteam spaltet sich das Haus in Applaus und heftige Ablehnung durch Buhrufe, wobei der jüngere Teil des Publikums ganz offenbar mehr Zustimmung erkennen ließ.
Achim Dombrowski
Copyright Fotos: Matthias Baus
12. November 2025 | Drucken

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