Grosser Erfolg für die selten gespielte Oper Lanzelot in Weimar - Für die Freiheit nicht beschaffen

Xl_5880_lanzelot_164_foto_candy_welz © Candy Welz

Deutsches Nationaltheater Weimar

Lanzelot

(Paul Dessau)

Premiere 23. November 2019

Für die Aufführung der selten gespielten Oper Lanzelot von Paul Dessau gibt es gerade jetzt viele kalendarische Gründe: 125. Geburtstag und 40. Todestag des Komponisten, 50. Jahrestag der Uraufführung und außerdem 30. Jahrestag des Mauerfalls, womit die zweifelsfrei vorhandene politische Dimension des Werkes bereits berührt wird.

Doch dann andererseits die praktischen Herausforderungen für die Aufführung der Oper: es gibt keine gedruckte Partitur, kein sorgfältig ediertes Orchestermaterial und auch keine Aufnahmen des Werkes. Dafür aber 30 (sic-!) Solopartien mit teilweise extremen Anforderungen, neunstimmige Chorpartien sowie einen gigantischen Orchesterapparat mit einem 13-köpfigen aufwändigen Rhythmus - und Schlagwerkensemble.

Worin liegt also die Dringlichkeit, das Werk in diesen Tagen zu zeigen? Erzählt wird in einer satirischen Märchenhandlung vom Drachen, der einst, in einer kaum erinnerlichen Steinzeit, die Menschheit durch die Erfindung sauberen Wassers vor der Cholera gerettet hat, sich seitdem als deren autokratischer, selbstgefälliger und mit allen Mitteln des Militär- und Überwachungsstaates ausgestatteter „Beschützer“ aufspielt, und dem regelmäßig von seinen Untertanen eine Jungfrau als Opfer zugeführt wird. Die neue Jungfrau soll Elsa sein, die sich wehrt. Als sich Lanzelot und Elsa begegnen, entschließt sich dieser gegen den Drachen aufzubegehren. Er will das Volk an seine Seite ziehen, mit ihm für die Freiheit zu streiten, was mehrfach misslingt. Lanzelot erkennt, dass er in wandelnden Umständen und unter schwersten Bedingungen niemals von seinem Kampf für die Freiheit ablassen kann. Immer wieder gruppieren sich die alten Eliten zu neuen Autokraten, wenn nicht am Ende ein utopischer Ausblick auf die Freiheit auch Hoffnung verhieße: „Alles Getrennte vereint unser Fest“. Wäre der Mensch also doch für die Freiheit beschaffen?

Das Werk wurde an der Berliner Staatsoper 1969 in der Regie von Ruth Berghaus unter den Augen einer ambivalenten Kulturbürokratie uraufgeführt, um danach in nur noch zwei weiteren Produktionen gezeigt zu werden. Die atemberaubenden Dynamiken der sich nicht nur in Deutschland in noch nicht absehbarer Weise verändernden politischen Verhältnisse verleihen der Aussage des Werkes nachhaltige Aktualität. 

Die Altmeister Peter Konwitschny und Helmut Brade zeichnen für Regie sowie Bühne und Kostüme verantwortlich. Und wer hätte es an diesem Ort besser machen können? Beide haben in diversen gemeinsamen Arbeiten die aktuellen gesellschaftlichen Bezüge auch im Repertoire etablierter Werke stark konturiert und herausgearbeitet. Dazu gehört nicht zuletzt der mittlerweile legendäre Hamburger Lohengrin aus dem Jahre 1998.

In Weimar ist die Bühne zunächst wiederholt durch die von den Seiten hereingefahrenen Podien mit den Schlagzeugteams verkleinert, die immer bei dramatischen Zuspitzungen und wenn zum Beispiel der Drache Krieg machen will, einen Höllenlärm veranstalten. Die Szene wird ergänzt durch wirkungsvolle, aber sparsame Videoproduktionen, die zum Beispiel modernste Technik wie Drohnen und andere Kriegs- und Überwachungstechnik des Drachen zeigen.  

Wie immer bei Konwitschny entwickelt sich ein punktgenaues Personen-Kammerspiel der handelnden Charaktere aus dem kleinbürgerlichen Milieu, über die Amts- und Herrschaftsträger bis hin zu den Liebenden Elsa und Lanzelot. Die Interaktion ist eine präzise, übergangslose Szenenfolge in sich rasch wandelnden Kulissen gekennzeichnet, überwiegend im satirischen Bilderstil, teilweise mit arte poveraKomponenten. Die äußerst disziplinierte und übergangslose Organisation des Ablaufs hält die Akteure und das Publikum in Atem. Wo immer die Entwicklung des Dramas Zeit zur Entfaltung braucht, wird dies durch eine sogartige und außerordentlich unterhaltsame Spielfolge begleitet und spannend aufbereitet. Gleichzeitig ist dieses exakt laufende Uhrwerk konstituierendes Element für die hervorbrechende reale Bedrohung des Individuums in einem solchen sozialen Bezugssystem. Besonders erfahrbar an dem zwischen scheinbar zugewandter Behaglichkeit und unkontrollierter, todeswütiger - vor Mord nicht zurückschreckender - Aktion schwankenden Drachen-Despoten. Die existentielle Bedrohung jedes Einzelnen in einem solchen sozialen System ist nachgerade körperlich nachvollziehbar. 

Es ist aussichtslos, die Gesamtleistungen des Ensembles auch nur annährend in diesen Zeilen angemessen würdigen zu können. Hervorgehoben sei die Elsa der Emily Hindrichs, die die mit fortwährend extremen Spitzentönen ausgestattete Partie mit Bravour und stimmlicher Ausdauer meistert. Máté Sólyom-Nagy gibt mit seiner zurückhaltend eingesetzten, warmen Baritonstimme einen nachdenklichen, sich langsam in die Situation einfühlenden und verstehenden Lanzelot, dessen darstellerische Behutsamkeit nachgerade fühlbar macht, dass er seine Position der Freiheitssuche auch in der Zukunft nur in aller Einsamkeit wird fortsetzen wird.

Mit großer Körperpräsenz und noch größerer Spielfreude landet Oleksandr Pushniak eine imposante Darstellung des Drachen. Der Bass-Bariton trifft mit der Durchschlagskraft seines Organs und der genau auf der Gratwanderung zwischen gemütlicher Behaglichkeit und mordender Bedrohung angelegten Stimm- und Spielkunst die Gefährlichkeit des despotischen, selbstgefälligen Autokraten, der ohne weiteres und vollkommen unberechenbar über Leichen geht. Juri Batukov als kleinbürgerlicher, der Macht vorauseilend dienender Charlemagne sowie Wolfgang Schwaninger als Bürgermeister mit seiner je nach Regime wechselnder Rolle in der Bürokratie-Elite verkörpern stimmlich und darstellerisch perfekt die typischen menschlichen Charaktere eines bekannten gesellschaftlichen Panoptikums.     

Es wirken der Opernchor des Deutschen Nationaltheaters Weimar mit, der Chor des Theaters Erfurt und der Kinderchor der schola cantorum Weimar. Die Choreinstudierung liegt bei Jens Petereit und Andreas Ketelhut, für den Kinderchor bei Cordula Fischer. Daneben wirkt eine nicht kleine Statisterie des Theaters Weimar mit. Insgesamt bringt heute selbst eines der großen Staatstheater nicht mehr so viele Mitwirkende auf die Bühne wie dies in dieser Neuinszenierung der Fall ist. Eine grandiose Leistung.

Dem erst 29-jährige Dominik Beykirch als 1. Koordinierter Kapellmeister des Nationaltheaters Weimar obliegt die musikalische Gesamtleitung des Abends. In bewunderungswürdiger Genauigkeit und Exaktheit werden die so vielfältigen, schwierigen Herausforderungen der Partitur inklusive ihrer rhythmischen und anderer spieltechnischen Besonderheiten gemeistert. Die Spielfreude von Orchester, Chor und der Solisten kennt keine Grenzen!               

Langanhaltender Jubel für alle Beteiligten für dieses große Wagnis und die grandiose, mehr als gelungene Umsetzung!

Eine furiose Leistung des Nationaltheaters und der Staatskapelle Weimar zusammen mit dem Theater Erfurt. Die Produktion darf niemand versäumen. Auf dem Sofa bleiben gilt nicht. Wer es trotzdem nicht bis ins Nationaltheater schafft, kann den Mitschnitt dieser Produktion am Samstag, 14.12., ab 20.05 Uhr im Format »mdr KULTUR in der Oper« verfolgen.

 

Copyright Photos: Candy Welz 

Achim Dombrowski 

 

 

 

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