Grange Park - mit Puschkin beim britischen Sommerfestival

Xl_w5a1197 © Richard Lewisohn

Pushkin

Oper von Konstantin Boyarsky

Uraufführung der Bühnenfassung beim Grange Park Opera Festival, Theatre in the Woods, Surrey, England am 11. Juli 2018

Besuchte Aufführung am 12. Juli 2018

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Auch in England braucht der Opernfreund im Sommer nicht auf Opernaufführungen zu verzichten. Eine britische Spezialität sind die allsommerlich im ganzen Land stattfindenden Sommerfestivals, in denen eine große Bandbreite an musikalischen Bühnenwerken auf alten Herrensitzen zur Aufführung kommen. 

In der Regel wird dann eine besonders lange Pause eingefügt, welche dem Publikum die Gelegenheit gibt, ausgiebig auf grünem englischem Rasen oder in eigens zu diesem Zweck errichteten Zelten zu picknicken. Bei den zu diesem Zweck mitgebrachten oder am Aufführungsort bereitgehaltenen Speisen, Getränke, Decken, Bestecke und weitere Ausstattungsmerkmale erfordern bei der Zusammenstellung viel Liebe und einen erheblichen Aufwand. Das illustre Publikum reist durchaus von weit her, auch aus London an und Kleidung und Erscheinung des Festspielpublikums kennen auf dem Kontinent keinen Vergleich. Hochtraditionelle Abendkleider und Smokings wechseln mit mutiger Phantasiekleidung, oft inspiriert durch farbenprächtige Attribute aus den ehemaligen britischen Kolonien. Für einzelne Besucher mag dieser besondere Teil des Events in der Bedeutung gleichgewichtig mit dem musikalischen Ereignis sein.

Grange Park Opera wurde 1998 gegründet. Mit seinen Projekten, Kinder schon in frühen Jahren mit aktivem Singen vertraut zu machen, sowie mit regelmäßigen Opernaufführungen in Gefängnissen hat die Festivalinitiative viel Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden. Im letzten Jahr konnte man außerdem in ein neues, ausschließlich von privaten Spenden errichtetes, eigenes Haus in West Horsley Place in der Grafschaft Surrey ziehen.  

In relativ kurzer Zeit wurden dazu von privaten Sponsoren nicht weniger als 10 Mio. Britische Pfund gesammelt. Weitere Spendenaktionen laufen noch, um das Projekt, welches man als „work-in-progress“  bezeichnen kann, abzurunden. So sind einige Außenanlagen noch nicht vollständig ausgebaut und auch Verzierungen im Zuschauerraum stehen noch auf der Optimierungsliste. Im Zentrum der Anlage in der weiten Gartenlandschaft des Gutshauses steht der architektonisch eigenwillige Rundbau des Zuschauerraumes mit einem Glockenturm, von dem aus jeweils zum Ende der Pausen das Publikum wieder zur Fortsetzung der Vorstellung gerufen wird. 

Auch die jeweiligen Unterhaltskosten und künstlerischen Aufwände werden ausschließlich von privaten Sponsoren getragen. Ein Blick auf die Listen der Gönner vermittelt den Eindruck, dass man sich in der britischen Gesellschaft bei einem solchen Anlass als Geldgeber zeigen muss. Auch das ist auf dem Kontinent nicht zu finden, wo zwar auch private Sponsoren kulturelle Events zunehmend unterstützen, jedoch im Verhältnis zu öffentlichen Geldgebern noch lange nicht die gleiche Bedeutung erlangen.   

Ein russisches Unternehmen aus dem Energiesektor sowie eine Gesellschaft aus der Medienwirtschaft mit vielfältigen Aktivitäten in Russland und diversen osteuropäischen Ländern haben die zentrale Unterstützung für die szenische Uraufführung der neuen Oper von Konstantin Boyarsky übernommen. Zu diesem Zweck hat man ein großes Ensemble der Opera Novaya, eine der mindestens drei weiteren Opernbühnen neben dem Bolschoitheater aus Moskau mit nicht weniger als 135 (sic-!) Mitgliedern nach England gebracht.

Boyarski ist Mitglied des Orchesters der Royal Opera in London, war Gründungsmitglied des Belcea Quartetts und hat eine Reihe von Kompositionen, unter anderem auch Ballette, veröffentlicht. Zusammen mit Marita Phillips, die das Libretto erarbeitet und zugleich wesentlich die Initiative zur Kreation dieser Oper mitgetragen hat, ist eine klassische Handlungsoper zum unsteten Leben Puschkins entstanden. Wir erleben Puschkins künstlerische und private Höhen und Tiefen, seine problematische Beziehung zu seinem Gönner Zar Nikolaus I, sowie seine eifersüchtige Haltung seiner Frau Natalya Goncharova gegenüber. Sein Tod durch ein von ihm selbst provoziertes Duell steht am Schluss der Oper.

Der Komponist bekennt sich ausdrücklich zum Entwurf einer traditionellen Oper mit klassisch-romantischer Handlung, und musikalischer Tonalität. Entsprechend ist das Werk durch eine wenig gewagte, teilweise voraussagbare musikalischen Entwicklung gekennzeichnet. Aus aktueller musikalischer Sicht wird nicht klar, wo die Notwendigkeit für eine so herkömmliche Musiksprache liegt. 

Die Inszenierung von Igor Ushakov mit den ansprechenden Kostümen von Irene Belousova bleibt konsequenterweise einem ebenso traditionellen  Stil verhaftet. Die mit wenigen Requisiten auskommende und durch eine geschickte Lichtregie unterlegte Gestaltung der Bühne sorgt für fließende Szenenübergänge und hat den Gastspielaufwand überschaubar gehalten.  

Puschkin wird mit großer Kraft und rückhaltlosem Spiel von Peter Auty gegeben. Der Sänger geht oft bis an die Grenzen seiner stimmlichen Möglichkeiten, ohne sich zu schonen. Artyom Garnov gibt einen im Auftritt etwas steifen und stimmlich stark geforderten Zaren Nikolaus I. Das Männerensemble wird durch Yaroslav Abaimov als Baron Heckeren und Anton Bochkaryov als Georges D’Anthes abgerundet.

Bei den Frauen besticht Julietta Avaneseyan als Puschkins Frau Nataylya Goncharova. Daneben singen und spielen Irina Romishevskaya und Anna Sinitsyna die beiden älteren Schwestern in ansprechender Form. Gayane Babadzhanyan gibt eine rassige Zigeunerin, die am Ende das Haus Romanow verflucht.

Der Chor der Novaya Opera unter der Leitung von Julia Senyukova war in voller Mannschaftsstärke erschienen und konnte in den rasch wechselnden Szenenfolgen in sehr unterschiedlichen Szenen und Stimmungslagen überzeugen.

Das Orchester der Novaya Opera wird von Jan Latham-König geleitet, der seit 2011 auch künstlerischer des Hauses in Moskau ist. Er versteht das gesamte Ensemble mit Hingabe und Begeisterung durch dieses englische Gastspiel zu leiten und für das Werk zu begeistern.

Das Publikum reagiert mit großer Begeisterung und vielen bravi für alle Solisten, Chor, Orchester und auch den Komponisten und seine Librettistin.

Anzumerken ist, dass neben diesem Gastspiel nicht weniger als drei weitere, aufwändige Opernproduktionen im Grange Park Opera Festival 2018 gezeigt werden: Die Verdioper „Ein Maskenball“, Gounods „Romeo et Juliette“ und Rodgers & Hammersteins „Oklahoma“, wobei unter anderem das BBC Concert Orchestra und das English National Opera Orchestra mitwirken.

Ein Besuch für einen deutschen reisenden Opernfreund ist certainly quite an experience wie die Engländer sagen würden und sehr empfehlenswert!

Achim Dombrowski

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