Glanzvolles Belcanto-Debut mit Bellinis Norma in Hamburg

Xl_hso_norma_2020_c-hans_joerg_michel_04 © Hans Jörg Michel

Norma
(Vincenzo Bellini)

Premiere am 8.03.2020 

besuchte Aufführung am 22.04.2023

Staatsoper Hamburg 

Die Hohepriesterin Norma hält ihr Volk lange Zeit davon ab, sich mit Gewalt gegen ihre kriegerische Besetzer zu wehren. Nachdem sie selbst bekennen muss, dass sie ein Verhältnis und zwei Kinder mit dem Anführer der Besatzungsmacht hat, geht sie ins Feuer, um die Schuld zu sühnen. Zuvor muss sie ertragen, dass sich ihr Geliebter Adalgisa zugewandt hat, die ihn aber abweist, nachdem sie erfährt, dass Norma ihn liebt.

Regisseurin Yona Kim, Bühnenbildner Christian Schmidt sowie Falk Bauer (Kostüme) zwingen den Betrachter, sich fortwährend der Realität von Entbehrung, Zwiespalt, Schuld und Verzweiflung zu vergegenwärtigen, die dieses Sujet für alle Beteiligten in sich trägt. So versteckt Norma ihre Kinder in einem Container unter der dem Waldboden und versucht ihnen dort aussichtslos eine Kindheit in Spiel und Unschuld zu vermitteln. 

Wiederholt werden Bilder einer kollektiven Gewaltandrohung gezeigt, wenn Messer aufblitzen oder die als Priesterinnen in Isolation gehaltenen Jungfrauen von den Glaubensschwestern gezüchtigt werden. Hinter einem Gazevorhang werden schemenhaft blutbeschmierte Figuren erkennbar, die sich auf das Ritual von Menschenopfern vorbereiten. Solche Bilder graben sich in das Unterbewusstsein des Betrachters. Dem Druck ist nicht zu entkommen. Wie die handelnden Personen der Oper bleibt der Zuschauer dieser Tortur ausgesetzt.       

Nur ganz selten, wie z B beim stummen Erscheinen von Normas Geliebtem Pollione während ihrer Arie Casta Diva im ersten Akt, werden positive Sehnsuchtsbilder sichtbar.   

Unter den Anspannungen der Handlungsverwicklungen und dem psychischen Druck auf die Charaktere erscheint der Gesang wie eine natürliche Reaktion, eine notwendige, befreiende menschlich-anrührende Äußerung. Die szenische Abstraktion bei Handlung und fortwährender inhärenter Bedrohung sind eingewoben in ein ganzheitliches Erscheinungsbild und stellen sich nicht zwischen Szene und Musik. Die Form entspricht in gewisser Weise dem fein-abgestuften, sich beständig und unauffällig fortentwickelnden harmonischen Klangbild der Partitur Bellinis. 

Die Inszenierung, die bisher wegen Corona nur zweimal gezeigt werden konnte, bewährt sich trotz ihrer Düsternis und präsentiert jetzt eine komplett neue Sängerbesetzung.  

Der Belcanto-Gesang ist eine anspruchsvolle Kunst. Der Sänger oder die Sängerin muss neben einer stupenden Stimmbeherrschung und den Schwankungen seiner körperlichen Konstitution über eine ausgeglichene und robuste psychische Stabilität verfügen. 

Und dann gibt es eine Fachkritik, die sich mit wundersamer und übermenschlicher Erinnerungsfähigkeit präzise an Sternstunden des eigenen Belcanto-Erlebens vor 40 oder sogar über 50 Jahren - in der eigenen Jugend - erinnert und diese zum Vergleich einer aktuell erlebten Leistung heranzieht. Meist mit dem Resultat, dass früher alles besser war.

In Hamburg konnte man sich – wenn man es denn zuließ – ganz im Hier und Jetzt an einem äußerst gelungenen Belcanto-Debüt einer ungemein vielversprechenden jungen Sopranistin erfreuen: Barno Ismatullaeva als Norma. Die junge Usbekin gab nicht nur ihre erste große Belcanto-Rolle, sondern absolvierte zusätzlich ihr Rollen- und Hausdebut an der Staatsoper Hamburg. Dabei hatte sie die mörderische Partie auch noch relativ kurzfristig übernommen. 

Ihr jugendliches Feuer und ihre unbändige Risikobereitschaft ließen das Publikum den Atem anhalten. Es wird interessant sein nachzuvollziehen, mit welchen weiteren Partien sich die Künstlerin das Fach in der Zukunft weiter erschließt. Angekündigt ist sie – neben Auftritten in Verdi und Puccini-Rollen andernorts - als Elisabetta in Roberto Devereux in Amsterdam, Valencia und Neapel ab April 2024. 

Karine Deshayes als Adalgisa hat in ihrer überlegenen Belcanto-Kunst eine andere, weitergehende Erfahrung. Sie ist als bedeutende Vertreterin des Fachs seit Jahren erfolgreich. Umso eindringlicher sind die gemeinsame, abgestufte Linienführung des Gesangs der beider Protagonistinnen, die makellose Feinabstimmung der rhythmischen Tongebung und die selbst im fragilen, verletzlichen Pianissimo zu einer Gesangslinie zusammenwachsenden Stimmen. 

Einen kraftvoll-männlichen Pollione gibt Najmiddin Mavlyanov, der sich darstellerisch in ausgeprägter Machohaltung präsentiert, ein wenig grob in Stimme und Auftritt, so dass die Begeisterung der beiden Frauen für diesen Mann erstaunen mag.

Tigran Martirossian als Oroveso gibt einen eindringlichen und ordnungsheischenden Oberpriester. 

Der Chor der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Eberhard Friedrich singt in disziplinierter und einfühlsamer Präsenz. 

Das Philharmonisches Staatsorchester – obwohl dessen größerer Teil zeitgleich mit Kent Nagano bei einem Gastspiel in der Carnegie Hall in New York auftritt – musiziert unter Giampaolo Bisanti, der schon die letzte Neuproduktion des Hauses Il Trittico so einfühlsam geleitet hat – mit feinsinnigem Brio und wohl-abgemessenen tempi, ohne zu eilen.

Das Publikum wusste die Leistung der Ismatullaeva und der Deshayes unmittelbar zu schätzen und feierte die Künstlerinnen zusammen mit Bisanti mit vielen bravi-Rufen und langem Beifall.       

Achim Dombrowski

Copyright: Hans Jörg Michel

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