Freud und Last mit der Grand opéra: Les Vêpres Siciliennes an der Deutsche Oper Berlin

Xl_5ee2e2df-fbb6-4ade-a2b3-263fc62e2384 © Marcus Lieberenz

Deutsche Oper Berlin

Les Vêpres Siciliennes

Musik von Giuseppe Verdi

Premiere am 20. März 2022

Verdi hat sich nicht leicht getan mit den ersten Schritten auf dem Gebiet der Grand opéra, nämlich seiner Oper Les Vêpres Siciliennes, die ihn schließlich länger in Anspruch genommen hat als geplant und zur Weltausstellung 1855 schließlich in Paris zur Uraufführung kam. Er war von Anfang an nicht zufrieden mit der Gesamtstruktur des Librettos und beklagte auch eine mangelnde Aufmerksamkeit Scribes, der seinerzeit erfolgreiche Operntexte am Fließband produzierte. Dennoch wäre es mehr als bedauerlich gewesen, wenn Verdi das Genre nicht weiter entwickelt hätte, denn über zehn Jahre später sollte er schließlich im Don Carlos einige seiner besten und gehaltvollsten Kompositionen schaffen.  Mit der Les Vêpres Siciliennes ist dies noch nicht gelungen. Er hat das Werk auch nicht – wie in anderen Fällen – später noch einmal umgearbeitet. 

Die Handlung spielt im 13 Jahrhundert und reflektiert die Eroberung Siziliens durch das Haus Anjou, eine gewaltsamen Besatzung, aus welcher eine Befreiungsbewegung erwächst sowie – in einer Oper unvermeidlich – einem Liebespaar, das jeweils bei gegensätzlichen Parteien beheimatet ist und nicht ohne Komplikationen zueinander finden kann. Die Vater-Sohn Beziehung zwischen dem Vizekönig der Besatzer und dem Liebhabers Henri bietet zwar im Hinblick auf die Charakterzeichnung der Vaterfigur differenzierte  Möglichkeiten, nimmt aber viel dramatisches Potential für die Entwicklung der Handlung. Der einsame Freiheitskämpfer Procida ist nicht optimal in die Handlung integriert. 

Der Regisseur dieser Neuproduktion ist in der Deutschen Oper Berlin als ausgewiesener und erfolgreicher Kenner des Genres bekannt. Olivier Py hat zuvor bereits an anderen Häusern Werke der Grand opéra und an der Deutschen Oper Berlin im Rahmen des Meyerbeer-Zyklus' Le Prophete erfolgreich herausgebracht.

Zunächst lassen Py und sein Ausstatter Pierre-André Weitz die Handlung abweichend von der Vorlage in wesentlichen Teilen im Algerienkrieg zur Zeit der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts stattfinden. Das verleiht der sehr weit zurück liegenden Handlung so eine zeitnähere Brisanz. Für Py als Franzose mit algerischen Hintergrund ist das ungelöste Trauma Frankreichs von Bedeutung.  Nur kurz wechselt die Ausstattung in der Ballszene in die Zeit des Second Empire. 

Py weiß um die Elemente der diffizilen Opernform. Bei einer zeitgemäßen Umsetzung ist Umsicht geboten. Die pompösen äußeren Gesten der Gattung evozieren mitunter unfreiwillige Komik, selbst beim geneigten Betrachter.   

Um dem zu entgehen, erarbeiten Py und Weitz viele relativierende Elemente, wie die Brechung der Handlung  durch begleitende Tänzer, sich sprunghaft wandelnde Ausstattungen, z.B. von der Straße zum Theaterraum etc. Während des Liebesduetts von Hélène und Henri wechselt die Lichtregie von Bertrand Killy in der Weise, dass die Bühne übergangslos ins krasses Neonlicht taucht und die weiteren Aufbauten wie überflüssige Versatzstücke herumstehen. Es gibt außerdem eine bekletterbare Statue, auf der sich prächtig Freiheitsparolen ausrufen lassen. Selbst bei diesen erfahrenen Künstlern bleibt jedoch die Grenze zwischen beabsichtigter und unbeabsichtigter Komik nicht immer ganz eindeutig.

Auch tritt die Lähmung der Vorlage im 5. Akt nichtsdestotrotz unweigerlich hervor. Da hilft auch das eifrige Verteilen von Waffnen und das Schwenken von französischen Fahnen nicht wirklich weiter. Das Schlussbild wirkt steif und erstarrt. Möglicherweise hätte ein ästhetisch komplett abweichender, irritierender Ansatz weiter geführt. 

Die Deutsche Oper wartet mit einer erfreulichen musikalischen Umsetzung mit vier großartigen Sänger-Protagonisten auf. 

Die Hélène von Hulkar Sabirova besticht mit ihren treffsicheren, für ihre Liebe kämpfenden Persönlichkeit sowie sicher und lyrisch gestimmten Sopranstimme. Sie folgt ganz der Tradition früherer Verdi-Opern, wie z.B. der Odabella aus Attila. Der Henri von Piero  Pretti singt sich über den Abend hörbar frei und ist schließlich im lyrischen Ausdruck seines Vortrags der Sabirova ein ebenbürtiger Partner.

Der blendende Bariton des Amerikaners Thomas Lehmann als Guy de Montfort beherrscht souverän die ganze Palette der Charakterzeichnung vom eroberungswilligen Besatzer bis zum zweifelnden und liebenden Vater. Durch die gelungene sensible Erarbeitung stimmlicher Zwischentöne lassen sich Verdis spätere kompositorische Höhepunkte in der Figur des König Philipp schon mehr als ansatzweise erahnen.   

Roberto Tagliavini gibt den Freiheitskämpfer Jean de Procida. Der Briton wartet mit einer atemberaubenden Kantilene auf, schöner hat Freiheitskampf nie geklungen. Ganz zu Recht gibt es wiederholt Szenenapplaus.  

Vom weiteren, durchwegs überzeugenden Ensemble können hier nur beispielhaft Arianna Manganello als Ninetta und Michael Kim als Thibault genannt werden.  

Während der gesamten Aufführung verbleiben die großartigen Sängerdarsteller angesichts der geschilderten schleppenden szenischen Entwicklung in einer gewissen solistischer Isolation. 

Mit nicht wenigen Darstellern ist das Opernballett der Deutschen Oper Berlin vertreten. Ein Tänzer bewährt sich als stilles Double Hélènes, andere stellen eine Allegorie des Todes, oder aber auch Tänzerinnen der Pariser Oper dar. Von einer Choreographin oder einem Choreographen sagen Programmheft und Besetzungszettel nichts.

Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jeremy Bines trumpfen stimmsicher und effektvoll auf.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Enrique Mazzola spielt flüssig, unverkrampft und entgeht aufgrund seiner Erfahrung jeder Gefahr von klanglicher Verdickung, unangemessener Lautstärke oder etwaiger zu lauter Klangballungen.     

Großer Applaus und bravi für die Protagonisten und alle Mitwirkenden auf der musikalischen Seite, vereinzelte Buhrufe für Olivier Py.

Achim Dombrowski

Copyright:  Marcus Lieberenz

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