Frankfurt: Alcina oder you can never leave

Xl_bild © Monika Rittershaus

Oper Frankfurt

 

ALCINA

(Georg Friedrich Händel)

Premiere 15. Juni 2025

Das barocke Maschinen- und Verzauberungstheater mit der Zauberin Alcina, die auf ihrer Insel ihre vielen Geliebten, derer sie überdrüssig wird, in Blumen, Felsen und Tiere verwandelt, wird auf sensibelste Weise in einen faszinierenden, zeitgemäßen psychologischen Bild- und Spielkosmos übertragen.

Dazu nimmt der Regisseur Johannes Erath sein bewährtes Team mit Kaspar Glarner für Bühnenbild und Kostüme, Bibi Abel für die sensible Videokunst sowie Joachim Klein für die Lichtregie mit auf die Reise.

Ziel ist, die Handlung und Charaktere in einer fließenden, psychologisch offenen, zauberischen Schwebe zu halten. Es gibt keine schwarz-weiß Urteile, Gut und Böse sind nicht unterscheidbar, die Macht – vor allem Alcinas – verfällt langsam und zunehmend.    

Das Bühnenbild ist überwiegend schwarz-grundig, zusammen mit der Lichtkunst in seiner Wirkung oft wie im Gegenlicht gestaltet. Es hat – im Barocktheater erfunden - an unerwarteten Stellen Öffnungen und Klappen und der Bühnenboden bewegt sich durch fahrbare Podeste und ist durch unsichtbare Öffnungen gekennzeichnet.  

Die Grundfiguration des Bühnenbildes stellt einen Raum barocker Architektur in schwarz dar, der jedoch zunehmend durch surreale Komponenten seine konkrete zeitliche und räumliche Bezogenheit verliert, unter anderem durch die Videokunst. 

Die Mechanismen des Barocktheater werden offen ausgespielt. Es gibt eine zehnköpfige Statisterie, die sich auf offener Bühne in den Kulissen bewegt, und den schlingernden Mechanismus des barocken Verzauberungstheaters bedient, dabei in wechselnden Kostümierungen die Protagonisten begleitet und durch ihre Aktionen liebevoll kommentiert. 

Archetypen des Theaters gehen zunehmend in surreale Formen über: Clownsgestalten der Commedia dell‘Arte, Geister der Unterwelt in weißem Feinripp und Strumpfmasken sowie Figuren und skurrile Erscheinungsformen des Jahrmarktes.

Die Situation um Alcina ähnelt der bei Don Giovanni, wo die Personen um die Titelfigur kreisen, ohne dass diese wirklich im Detail bestimmbar wäre. Vielmehr leben alle anderen ihre eigenen bewussten und vor allem unbewussten Reflexionen. Verharrt die Titelfigur in einsamer Leere?

Das Bühnenbild löst sich parallel zur Macht Alcinas auf, die ursprünglich großen, nostalgischen Frauenroben aus der Film- und Theaterszene der 20er Jahre gehen in einfache, stilistisch unbestimmte Gewänder über. 

 

Schließlich wird aus dem sich immer weiter drehenden Verwechslungstheater ein psychologisch-emotionales Kraftfeld, in dem alle über Spiel und Lügen der anderen bewusst oder unbewusst wissen, aber wie in einer liebgewonnenen Sucht  gemeinsam verharren und melancholisch und antriebslos ermattet im Wartesaal des Welttheaters Platz nehmen. 

Geist und atmosphärische Ausstrahlung spiegeln das Lebensgefühl im Hotel California der Eagles 1976 wieder  – ein hypnotischer, experimenteller Bewusstseinsraum, der Himmel und Hölle sein kann mit allen von der Hexe Alcina verführten Liebhabern. Die Akteure wollen sich erinnern, und doch zugleich vergessen. Sie sind freiwillig-unfreiwillig Gefangene aus eigenem Antrieb, ihren (Liebes-)Sehnsüchten und Verstrickungen: You can check out any time, but you can never leave.     

Die Alcina von Monika Buczkowska-Ward bleibt in ihrer gesamten musikalischen Entwicklung zur Einsamkeit eine brillante Königin der Ombra-Klänge. Mit sicher geführtem Sopran, gut kontrollierter Stimmführung und ihrer in allen Lagen schön geprägten Stimme vertritt sie die Titelpartie mit höchster Bravour.

Der Schweizer Elmar Hauser gibt mit der Partie des Ruggiero sein Debut am Frankfurter Haus. Sein tendenziell dunkel-gefärbter, ungemein sicher geführter Countertenor  wird den extremen Anforderungen der Partie mit den mitunter erheblichen Tonsprüngen glänzend gerecht. Vom Orchester wird er besonders liebevoll begleitet. Im Auftritt wirkt er wie ein unschuldig-vergeistigter Engel. Psychologische Kriegsführung oder Charaktereigenschaft des Künstlers?

Katharina Magiera gibt einen leidenschaftlichen und leicht entflammbaren Bradamante. Die bewegliche Mezzo-Stimme ist vor allem auch zu ihrem ehemaligen Liebhaber Ruggiero eine gelungene Passung.     

Shelén Hughes gibt ihr Hausdebut als Morgana. Quicklebendige Beweglichkeit in Spiel und einer frischen, unverbrauchten Stimme überzeugen und bewegen emotional vollkommen.

Michael Porter ist ein durch und durch spielfreudiger Oronte. Die Agilität des Sängers bildet während der Entwicklung vieler andere Charaktere in die Melancholie und Antriebslosigkeit einen effektvollen Counterpart. Sein sicher geführter, tragfähiger und flexibler Tenor vollendet seine überzeugende Bühnenerscheinung.     

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester in barocker Instrumentalbesetzung und -größe von rund 30 Musikern wird von Julia Jones umsichtig geführt. Jones ist keine Freundin von extremen Temporückungen, high-speed- Zuspitzungen oder anderen vermeintlichen Barockauffrischungen. Sie vertraut zusammen mit dem Orchester bei höchst-präziser Spielkultur auf die der Partitur inhärente Ausdruckskraft und Schönheit. Und das gelingt ganz exzellent, insbesondere auch bei der Begleitung des gesamten Sängerensembles.  

Das Publikum weiß die Qualität der Premiere zu schätzen und bedankt sich bei allen Künstlern – einschließlich des Regieteams mit begeistertem, langanhaltenden Applaus und bravi-Rufen. 

 

Copyright: Monika Rittershaus

Achim Dombrowski

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