Falstaff, lonesome tonight ...

Xl_3b6c3743-fd2c-48fe-8715-e9ae173f62fa © Iko Freese

Komische Oper Berlin

Falstaff

Giuseppe Verdi

Premiere am 30. April 2022

Nun also Verdis Alterswerk zum Abschluss der Intendanz von Barrie Kosky. Die Komische Oper Berlin präsentiert jetzt eine Produktion ihres mittlerweile als Opernregisseur weltweit begehrten Hausherrn, die bereits zuvor bei den Festspielen von Aix-en-Provence im Sommer 2021 und auch in der Opera National Lyon noch im selben Jahr Premiere hatte. 

Falstaff trickst sich durchs Leben auf der Pirsch nach Frauen, die er ausnehmen kann. Ideale Opfer sind Alice Ford und Meg Page, denen er zwei gleichlautende Liebesbriefe schreibt. Der bis zur Schmerzhaftigkeit eifersüchtige Ehemann von Alice erfährt davon, verkleidet sich als Fontana, und bittet Falstaff, Alice – in Wirklichkeit seine Frau – zu verführen. Dafür bietet er viel Geld. Als Ford von Falstaff erfährt, dass dieser zu einem Rendezvous zu Alice unterwegs ist, platzt er vor Wut und Verzweiflung. Bei Falstaffs Treffen mit Alice tobt Ford herein. Falstaff wird von den Frauen versteckt und zur Erheiterung aller in die Themse geworfen. 

Ford will seine Tochter Nannetta mit Cajus verheiraten, was Mutter und Tochter vermeiden wollen. Falstaff wird eine Einladung von Alice überbracht, die ihre Unschuld an den vorangegangenen Vorkommnissen beteuert und ihn um Mitternacht in den Park bestellt. Er geht ihr auf den Leim. Alle fallen über Falstaff her. Bei den auf Initiative der Frauen vorab vertauschten Verkleidungen gibt Ford unwissentlich und ungewollt der Verbindung der beiden Liebenden Nannetta und Fenton seinen Segen. Falstaff führt die abschließende Fuge an „Lauter Betrogene - Alles in der Welt ist Spaß“.

Bei Kosky gibt es - anders als bei so mancher Vorgängerinszenierung - nicht den Versuch, die von der Titelfigur herausgeforderte bürgerliche Welt weitergehend analytisch zu durchleuchten und zu interpretieren. Vielmehr wird ein bei Verdi so wichtiges Element in den Mittelpunkt gestellt: die Einsamkeit der Personen. 

Nach Öffnen des Vorhangs und noch bevor das Orchester furios einsetzt, erlebt der Zuschauer Falstaff bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Kochen. Dazu singt er Elvis „Are you lonesome tonight...“  Das wirkt wie ein Ersatz für die reale erotische Begegnung mit einer Frau. Das Thema wird weiter variiert, indem in den kurzen Pausen zw ischen den folgenden Szenen bei dunklem Zuschauerraum zunächst ein Mann, dann eine Frau, dann beide zusammen, auf italienisch Rezepte für ein äußerst opulentes Mahl vortragen. Die Sinnlichkeit, pardon: Lüsternheit des nachgerade nicht mehr jugendfreien Vortrags wird vom Publikum dreimal (sic-!) mit Szenenapplaus bedacht. Wohlgemerkt: in einem deutschen Opernhaus. Möge die Theatergeschichte das vermerkt haben!     

Auch dieser so komische Vortrag klingt letztendlich wie eine Ersatzhandlung. Kann es sein, dass Falstaff eine erotische Begegnung mit den Frauen dieser Gesellschaft aufgegeben hat und nunmehr seine Sinnlichkeit auf Essen und Trinken konzentriert? 

Tatsächlich bewegen sich auch die anderen Figuren ohne viel Begegnung zueinander durch die Handlung. Am deutlichsten wird dies bei Ford. Er ist in einer Situation der fortlaufenden Überforderung und Schreckhaftigkeit gefangen. Weder kann er den anderen Männern richtig zuhören, noch scheint er eine empathische Beziehung zur eigenen Frau zu haben. 

In der Verkleidung als Fontana mit schwarzer, sanft gelockter Perücke, einer riesigen roten Rose am Revers und einem Anzug, der so schnee-weiß ist, dass seine eigenen Zähne noch weißer scheinen, stellt er äußerlich das Ur-Klischee des südländischen Frauenhelden dar. 

Diese im ersten Moment umwerfende Komik gerinnt jedoch in kürzester Zeit – wenn man seiner Verzweiflung und Einsamkeit empathisch folgt -  zu einem Mitleid mit dieser tragischen Person. Es ist, als ob Pirandello dieser Szene seinen Segen gibt. Und man möchte auf die Bühne gehen, um den armen Günter Papendell – den Sängerdarsteller der Partie – leibhaftig zum Trost in die Arme zu nehmen. Doch wird man Ford nicht helfen können: er bleibt auch in den nachfolgenden Szenen und der Schlussfuge seltsam isoliert.  

Die Frauen spielen ungehemmt fröhlich und mit Tempo ihre Ensembleszenen und schrecken in keiner Weise vor dem grausamen Spiel von Verstellung, Verhöhnung dem Arrangement einer vertauschten Hochzeit zurück. Sie kontrollieren in perfekt-perfider Brillanz Spiel und Wirklichkeit. 

Das Bühnenbild von Katrin Lea Tag (welche auch für die adäquaten Kostüme – oder Nicht-Kostüme, wenn Falstaff seinen nackten Hintern beim Kochen präsentiert - verantwortlich zeichnet) zeigt eine deutlich in die Jahre gekommene, ursprünglich wohl aufwendige, bürgerliche Umgebung, die aber schon lange nach Erneuerung lechzt. Darauf kommt aber anscheinend keiner. Im Gegenteil: das letzte Bild spielt nicht in der Natur, sondern in einer schwarzen, undefinierten Umgebung, die wohl auch die Verlorenheit der Seelen aller Beteiligten widerspiegelt.  

Der Falstaff von Scott Hendricks präsentiert sich stimmlich treffsicher und mit spielerischer Freude. Der Ford von Günter Papendell gibt stimmlich und darstellerisch hoch-disziplinierzt einen bis zur rasenden Verzweiflung leidenden Mann.    

Die Damenriege mit der Alice Ford von Ruzan Mantashyan, Mrs Quickly von Agnes Zwierko und Meg Page von Karolina Gumos besticht durch Brillanz und stimmliche Treffsicherheit.  

Das junge Liebespaar Nannetta von Alma Sadé und Fenton von Oleksiy Palchykov berührt durch seiner empathisch-zugewandten Verliebtheit in Gegensatz zum dem Alltag, der sie in ihrem späteren Leben einholen wird.

Bardolfo, Pistola und Cajus werden von den Ensemblemitgliedern James Kryshak, Jens Larsen und Ivan Turšić  mit größter Spielfreude und all dem Zucker, dem sie ihrem Affen geben können, höchst wirkungsvoll präsentiert.

Die Chorsolisten der Komischen Oper unter der bewährten Leitung von David Cavelius erfüllen ihre Aufgaben wie immer mit Bravour. Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter seinem Chefdirigenten Ainārs Rubiķis – analog zum dramaturgischen Konzept - überzeugt durch einen quick-perfekten, coolen musikalischen Stil.

Die Publikumsreaktion ist den gesamten Abend über amüsiert-zustimmend und mündet in begeistertem Schlussapplaus für alle Beteiligten.

Intendant Kosky selbst leitet mit der nur ihm eigenen Freude und Zugewandtheit nach der Vorstellung die Verleihung der Titels einer Kammersängerin an Karolins Gumos und des Kammersängers an Günter Papendell nach jeweils über 10-jährige Mitarbeit im Ensemble der Komischen Oper Berlin ein. 

Zum Abschluss folgt ein bewegendes ukrainisches Volkslied von Oleksiy Palchykov – dem Fenton dieser Aufführung  im Gedenken an das Leid seiner Heimat. 

Achim Dombrowski

Copyright: Iko Freese

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