Eugen Onegin - gefühlskalter Macho und Kriegsheimkehrer

Xl_eugen_onegin_hfmt__joerg_modrow_0018 © Jörg Modrow

Eugen Onegin

(Peter I. Tschaikowski)


Premiere am 13.01.2024

 

Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Theaterakademie Hamburg

im Rahmen der Reihe junges forum Musik und Theater

Zum Jahresbeginn startet das junge forum an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg mit einer aufwändigen Neuproduktion von Peter Tschaikowski’s Eugen Onegin. Das Orchester ist mit rund 50 Studenten besetzt, auch an Bühnenaufbauten, Kostüm und Videokunst wird nicht gespart.

Für den Regisseur Matthias Piro – dessen Abschlussinszenierung die Produktion darstellt - spielt die Handlung im Hier und Heute, nämlich im Realismus der Einheitswohnung einer russischen Großstadt. Und trotz der äußerlich russischen Ausstattungsmerkmale vielleicht nicht nur dort, denn das Eingeschlossen sein kann jeder Jugendliche in der gesamten Welt verspüren. 

Keine verzärtelten Mädchenträume aus heimlich unter der Bettdecke gelesenen und gefieberten Puschkinträumen, sondern konfrontativer Naturalismus. Kein 19. Jahrhundert also, keine Landgüter weit und breit. Der verzweifelte Wunsch junger Menschen nach Liebe, Wärme und erfüllter menschlicher Beziehung entspringt hier auch der Sehnsucht nach einer Gegenwelt zu den die Akteure umgebenden trostlosen Umständen.

Für den heutigen (nicht nur jungen) Betrachter wirkt auf diese Weise das Werk emotional näher als die Vorlage aus dem Landleben des 19. Jahrhunderts.

Dabei greifen die aufwändigen, alltäglich-traurigen Aufbauten des Bühnenbildes von Lisa Moro, die Alltags-Kostüme von Clara Hertel, Lichtregie von Leo Moro gekonnt ineinander. Aber erst durch die Videokunst von Janic Bebi und Jonas Dahl ergibt sich die unerbittliche Unausweichlichkeit der geschilderten Situation:

Die Videoeinspielungen verbildlichen gewissermaßen die gesamte, die jungen Leute umgebende Lebenswelt: von social media Nutzung über flash backs in einsame Kindererinnerungen oder später als Einblick in das luxuriöse Leben Tatjanas als Ehefrau an der Seite des Oligarchen Gremin. Auch brandaktuelle Einspielungen zu Propagandaaufmärschen und zum russisch-ukrainischen Kriegsgeschehen fehlen nicht. 

In beklemmender Nähe vereinen sich die Bilder zusammen mit Bühne, Bild und Kostümen zu einem emotionalen Empfindungshorizont, aus dem es weder für die Darsteller noch die Zuschauer ein Entkommen zu geben scheint. Wo wäre da ein Fluchtweg?

Die Nutzung von Videokunst in der Oper hat da inzwischen (angefangen bei den unsensiblen Castorf’schen Überwältigungsmechanismen) einen weiten Weg zurück gelegt und besticht immer wieder durch innovative und einfühlsame Fortentwicklung. 

Dabei erstaunt und bleibt es ein Stück weit künstlerisches Geheimnis der Produktion, in welch bezwingend-authentischem Ausdruck die romantische Musik Tschaikowskis zu den Bildern und Geschehnissen steht. Es muss die ganze Unmittelbarkeit der Jugend sein, die verzweifelt gegen die Limitierungen des Alltags in dieser Musik zum Leuchten kommt.  

Onegin ist von Anfang an ein wenig empathischer Zeitgenosse, der nach Jahren der Abwesenheit bei der Wiederbegegnung Tatjanas unmittelbar aus dem russisch-ukrainischen Krieg (noch mit Gewehr und in Uniform) zurückkehrt. Der Sänger des Eugen Onegin Yosif Slavov  hat (nach unerwarteten Absagen) erst zwölf Tage vor der Premiere die Partie übernommen und meistert sie großartig. Seine  männlich-toxische Entwicklung wird über die kalte Ablehnung Tatjanas zu Beginn, die brutale Begegnung mit Olga und schließlich die gefühlskalte Wiederbegegnung mit Tatjana in einem fortwährenden Entwicklungsbogen verdeutlicht. Slavov kann diesem Entwicklungsbogen auch stimmlich eindringlich gerecht werden.   

Onegins tragischer Freund, der Dichter Lenski, wird mit herzzerreißender Zerbrechlichkeit von Taras Semenov verkörpert, der erst vor kurzem in der Don Giovanni-Produktion der Musikhochschule als ein schwärmerischer Ottavio zu erleben war.

Der Sängerdarsteller küsst in Piros Konzept bei der verzweifelt-wütenden Herausforderung seines Freundes Onegin zum Duell in einer Art homosexueller Übersprunghandlung diesen auf den Mund und erfährt Onegins ganze homophobe Brutalität. Er wird vor den anderen Jugendlichen von Onegin blutig geschlagen. Semenov gelingt eine erschütternde Darstellung dieses grausamen Momentes unter schonungslosem, an die Grenzen gehenden Einsatzes seiner stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten. Es kommt noch schlimmer: in der Duellszene erschießt er sich schließlich selbst, nachdem klar wird, dass Onegin den Wehrlosen einfach abzuknallen bereit ist. Seine große lyrische Arie wird zu einem der Höhepunkte der Aufführung, wobei auch hier die außerordentlich sensible Videokunst die Szene mit einer einfühlsamen Sequenz wie aus seinem einsamen, traurigen Kindheitstraum umgibt.           

Dalia Besprozvany als Tatjana vermag die Entwicklung einer in sanften Mädchenträumen wandelnden jungen Frau hin zur gestählten, realistischen Oligarchengattin und -mutter bestens zu verkörpern. Ihre kräftige Stimme vermag all die Schattierungen auf diesem Weg eindrucksvoll zum Ausdruck zu bringen.   

Tatjanas Schwester Olga wird in dieser Inszenierung heftig mitgespielt. Sie muss die gewaltsame Annäherung Onegins ertragen und auch Lenskis Kuss und Verletzungen mitansehen. Aisha Otto erfüllt die Rolle mit ihrer sicher geführten Stimme und bewegender Intensität im Spiel. 

Kay Philipp Fuhrmann verwandelt das französische Couplet gekonnt in eine schmierige, aufdringliche und nachgerade frauenfeindliche Darbietung auf der Zimmerparty..        

Als Gremin fühlt sich Lukas Gerber herzlich wohl in seiner zynisch-distanzierten Oligarchenrolle. Mit sonorem, sicher geführten Bass besingt er klangschön seine Tatjana, aber stressfrei wirkt die Verbindung der beiden (mit verzogenem Kind) ganz und gar nicht.  

Mutter Larina von Maria Eichler und die Amme oder Hausfreundin Filipjewna von Anna Vishnevska runden das Ensemble auch durch stimmige schauspielerische Leistungen ab. 

Das Orchester der Musikhochschule unter der Leitung von Constantin Schiffer spielt risikofreudig und mit hoher Dynamik und Innen-Dynamik, die es den Sängern und Sängerinnen nicht leicht macht, insbesondere der Chor hat gelegentlich zu kämpfen. 

Und dann auch noch ein rundum fokussiert-intelligentes Programmheft der Dramaturgin Talisa Walser, die es brillant versteht, Inhalt, Gespräch mit Regisseur und Dirigent, eigene Betrachtungen und Künstlerbiographien für diese Inszenierung kurz und präzise auf den Punkt zu bringen.  

Die letzte Produktion des Eugen Onegin an der Hochschule ging erst im November 2018 im Forum über die Bretter -  auch sie wartete mit neuen und unerwarteten, teilweise ebenso verstörenden Bildern auf. Tschaikowskis Meisterwerk ist wohl bestens geeignet, junge Studierende immer wieder emotional und handwerklich herauszufordern – die Ergebnisse waren in Hamburg jedenfalls in beiden Fällen großartig. 

Achim Dombrowski

 

Copyright: Jörg Modrow

 

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