Eine schwule Fantasie aus dem Amerika der 80er Jahre als Oper in Bremen

Xl_angels_8_smolka__oben___reese_u_spinetti__mitte___ensemble_und_statisterie_foto_j_rg_landsberg © Jörg Landsberg

Angels in America
(Peter Eötvös)

Premiere am 2.04.2023 

besuchte Aufführung am 12.04.2023

Theater Bremen 

Das Theater Bremen widmet sich zum ersten Male der Aufführung einer Oper von Peter Eötvös: Angels in America. Das Werk wurde 2004 in Paris uraufgeführt und fußt auf einem damals schon legendären Schauspiel der US-amerikanischen Autors Tony Kushner, der den Text 1991/2 geschrieben hat und für den er den Pulitzer Preis sowie den Tony Award gewonnen hat. Die Vorlage diente auch als Grundlage für eine weitbeachtete Fernseh-Serie mit Al Pacino und Meryl Streep.      

Gezeigt wird der Lebensweg verschiedener schwuler Männer, die sich aus dem restriktiven, konservativen, religiös-geprägten, heterosexuellen und homophoben Umfeld Amerikas in der Mitte der 80er Jahre befreien. Parallel zu deren individueller Befreiung gibt es auf gesellschaftlicher Ebene eine konservative Gegenbewegung, in der sich die Republikaner unter Reagan mit klerikalen Gruppen verbünden. Gleichzeitig greift AIDS um sich und kostet zehntausende von Menschenleben. 

Die Handlung beinhaltet u.a. reale Personen des Zeitgeschehens wie den politisch-konservativen und einflussreichen Anwalt Roy Cohn, der bis zum Schluss eine eigene AIDS-Erkrankung – bzw. seine eigene Homosexualität - aggressiv verneint. Im weiteren Verlauf ist das Geschehen durch zunehmend irreale und halluzinatorische Züge der handelnden Personen geprägt und mündet in der Erscheinung der Engel, die diese entglittene, libertinäre Welt erretten sollen. Der von ihnen als Prophet erwählte AIDS-kranke Prior Walter lehnt jedoch diesen Auftrag der Engel ab.      

Diese „ ... schwule Fantasie über nationale Themen ...“ (Kushner) wird in der Oper angereichert durch Klima- und Umweltkatastrophen wie die Erscheinung des Ozonlochs und die Tschernobyl. Für Kushner waren die Jahre nach 1985 „ ...eine verzweifelte Zeit, nirgends Aufstand...“ .   

Kushner fungiert bis heute auch als Drehbuchautor von Steven Spielberg und bietet mit den Angels den idealen Stoff für den im Theater aufgewachsenen Peter Eötvös, der Wert darauf legt, dass die Texte in seinen Opern immer verständlich bleiben müssen und daher „ ... im Sprachtempo ...“ (Eötvös) komponiert. Seinen Durchbruch als Opernkomponist hatte er mit den Drei Schwestern nach Tschechow (1998), seine letzte Oper Sleepless  wurde 2021 in Berlin uraufgeführt, seine Werke außerordentlich oft nachgespielt. 

In Bremen wird Englisch gesungen und die Stimmen der Sänger über Mikrophone verstärkt.   

Die Regisseurin Andrea Moses auf der Bühne von Katja Haß und den Kostümen von Anja Rabes vermag die Erzählung inklusive ihrer überlappenden Handlungsstränge handwerklich solide und in klarer Struktur auf die Bühne zu bringen. Allerdings muss man sich fragen, wie man die spezifischen zeitgebundenen Elemente, den Aufbruch, die Verzweiflung, die Wut und den (Über-)Lebenswillen Mitte der 80er Jahre in den USA heute in Deutschland vermittelt. Das gesellschaftliche Umfeld in Deutschland war und ist nicht deckungsgleich mit (der Bigotterie in) den USA und die Lebensbedrohung durch AIDS gibt es durch den medizinischen Fortschritt so in den USA und Deutschland nicht mehr.   

Es stellt sich mithin auch die Frage, welche Botschaft der Stoff – der auch auf der Schauspielbühne (u.a. in München und Wien) in den letzten Jahren wieder aufgegriffen wurde - angesichts der in der Zwischenzeit veränderten Lebensbedingungen der LGBTQ-Gemeinschaft heute transportiert? Geht es darum, eine historische Dokumentation über die 80er Jahre und/oder die Mahnung vor solcherlei Verhältnissen aufrecht zu erhalten, die jederzeit in einem konservativen Umfeld wieder aufbrechen können? Die immer noch schwierigen Verhältnisse in ländlichen Regionen? Das Umfeld homophober, kriegsführender Autokraten oder in Ländern des globalen Südens?    

Solcherlei Fragen wurden nicht berührt, bzw. muss man sich selber stellen. 

Die musikalische und darstellerische Intensität des Bremer Ensembles ließen den Zuschauer die Schicksale der Personen auf der Bühne eindrucksvoll miterleben und -erleiden. Dabei konnte der Abend nur durch zwei mutige Einspringerinnen gerettet werden. Anna Jung übernahm Rollen der Hannah Pitt/Rabbi Chemelwitz/Henry von der Seite singend – sie hat entsprechende Rollenerfahrung aus einer Produktion in Freiburg vor rund fünf Jahren - während die Regieassistentin Vivien Hohnholz diese Partien auf der Bühne überzeugend verkörperte.       

Ian Spinetti als AIDS-erkrankter Prior Walter und William Ferguson als sein Partner Louis, der ihn verlässt, geben berührende Charakterstudien ihrer angstvollen Zerrissenheit. Ulrike Mayer und  Michał Partyka sind ein ebenso verzweifelt miteinander ringendes Mormonenpaar. Den karrieresüchtigen und skrupellosen Anwalt Roy Cohen verkörpert Stephen Clark in einer energiegeladenen und erschütternden Darstellung bis zum bitteren, selbst-zerstörerischen Ende.   

Matthew Reese vermag wie der Gondoliere in seinen vielfältigen Erscheinungen in Mann/Brittens Tod von Venedig bei jedem seiner Auftritte eine schillernd-einladend-vertraute Atmosphäre zu schaffen. Marie Smolka personifiziert mit teilweise sehr durchdringender Stimme den ordnungssuchenden Angel.

Die Bremer Philharmoniker unter William Kelley werden der Bandbreite der klanglich vielschichtigen Partitur Eötvös´ mit großer Souveränität und Spielfreude gerecht.    

Große Zustimmung für alle Darsteller, den Dirigenten und das Orchester nach einer traurig schwach besuchten Vorstellung.

Achim Dombrowski

Copyright: Jörg Landsberg

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