Ehrlich weinen mit La Boheme an der Komischen Oper Berlin

Xl_drama2019010_2165_ikofreese_drama_berlin.de © Iko Freese/drama-berlin.de

Komische Oper Berlin

Giacomo Puccini

La Boheme

Premiere am 27. Januar 2019

Besuchte Aufführung: 14. Februar 2019

Wer kennt Puccinis Meisterwerk nicht? Kann man hier noch Neues entdecken? Man kann, wenn man will. Barrie Kosky, Hausherr der Komischen Oper, hat in seiner Neuinszenierung ein Bild junger Menschen in den Mittelpunkt gestellt, die zum ersten Male mit dem Tod konfrontiert werden. Zugleich entsteht ein Kaleidoskop der aufregenden und aufgeregten Zeit des Paris im 19. Jahrhundert. Eine Stadt, die durch weitverbreitete Armut, brachiale Veränderungen wie der Schaffung der neuen Stadtstruktur durch Baron Haussmann, oder den technischen Fortschritt durchgeschüttelt wird. Der Druck der sozialen Verhältnisse macht sich wiederholt in Anschlägen und Aufständen Luft.

Mittendrin eine Gruppe von jungen Männern, die aus bürgerlicher Herkunft stammen mögen, hier aber ohne Geld ihre ersten Schritte zur künstlerischen und persönlichen Reife durchlaufen. Ihr Leben erscheint trotz der Geldnot zunächst unbeschwert. Sie machen sich lustig über das Problem, die nächste Miete nicht zahlen zu können, sie verbrennen die künstlerischen Werke, wie ein neu geschriebenes Theaterstück des Dichters Rudolfo,  im Ofen, um ein wenig Wärme für einen nur kurzen Augenblick zu erhalten. Sie brechen ins Cafe Momus auf, ohne zu wissen, ob und wie sie die Rechnung bezahlen können.

So testen sie das Leben und die Liebe aus. Streitsucht und eine dadurch immer stärkere Abhängigkeit in Liebe verbinden Musetta und Marcello. Anders erscheint die Begegnung von Rudolfo und Mimi. Rudolfo öffnet sich mit seinen Gefühlen tief und berührend, während die Äußerungen Mimis so zurückhaltend, wie um ihn nicht zu stören, klingen. Die Erzählung ihres Lebens verweist auf einfachste Verhältnisse. Rudolfo will sich von ihr trennen, als er erfährt, dass Mimi dem Tode geweiht ist und er die Verantwortung nicht tragen will, dass die Bedingungen auch seiner beschränkten Lebensumstände ihr Schicksal nicht verbessern können. Nach dem Tod Mimis bleibt diese allein zurück und noch ehe der Vorhang fällt, ist auch Rudolfo mit den anderen davongelaufen. Sie scheint alleine zu verblassen wie ein Daguerreotypie-Foto.

Die Inszenierung zeigt also junge Menschen im Ertasten ihres Lebens, im Schrecken der ersten Begegnung mit dem Tod, ihr Davonlaufen, ohne ihre Eigensüchtigkeit zu verurteilen. Der Reifeprozess mag ihre Handlungen so und nicht anders erfordern. Die Personenführung des Regisseurs ist einfühlsam, ungestüm im Ausleben der Jugend, mitfühlend in den Momenten des Todesschrecks. Sie macht aber auch klar, dass das Leben in der Phase weitergeht, dem Tod andere Lebensabschnitte folgen werden.

Im zweiten Bild kommt die Drehbühne heftig in Schwung. Die großen Chor- (Leitung David Cavelius) und Kinderchorensembles (unter Dagmar Fiebach) der Komischen Oper verwandeln die Szene in Sekunden in das quirlige Künstlerviertel der Stadt, nicht ohne die Abgründigkeit der Verhältnisse mit vielen weiteren skurrilen Darstellern und Situationen zu bebildern. 

Dabei unterstützt eine oft mit Halbschatten arbeitende, klug ausdifferenzierte Lichtregie von Alessandro Carletti und das geniale Bühnenbild von Rufus Didwiszus. Mit zurückhaltenden Bildelementen der Daguerreotypie, die im 19. Jahrhundert erfunden wurde, sowie ansonsten einfachsten Mitteln, entsteht eine Spielfläche, die in Sekunden verwandelt werden kann, und die spezifischen Charakterisierungen der vier Szenen jeweils überzeugend und beklemmend einfängt. Dazu tragen auch die phantasievollen und vielfältigen Kostüme bei, für die Victoria Behr verantwortlich zeichnet. Es handelt sich um eine Umsetzung, die eben nicht für besonders viel Geld optisch besonders viel Armut auf die Bühne baut. 

Die Komische Oper legt großen Wert, die Werke ihres Repertoires weitgehend durch ihr eigenes Ensemble zu besetzen. Dadurch konnte man so manche Sängerentwicklung verfolgen, so manchen Reifeprozess miterleben. In der alternierenden Besetzung eines Kernwerkes des Repertoire wie La Bohemehatten an diesem Tage jedoch eine Reihe von jungen Sängern ihr Haus- und Rollendebüts, die nicht zum Stammensemble gehören. Dabei war es eine große Freude zu erleben, wie gut die Auswahl der Protagonisten hinsichtlich Erscheinung und Stimme, bzw. künstlerischer Entwicklung, gelang. Heather Engebretson als Mimi überzeugte in Stimme und Darstellung. Ihre Erscheinung ist wie geschaffen für die Partie und Stimmführung und -volumen ergänzten sich ideal mit Gerard Schneider als Rodolfo. Sein strahlendes, stark durch die Mittellage geprägtes Organ öffnete sich im Laufe des Abends auch im oberen Bereich immer stärker. 

Auch die weiteren Debütanten überzeugten: Hera Hyesang Park brachte die exaltierte Spielfreude und Koloraturen-Sicherheit für die Partie der Musetta auf die Bühne. Huw Montague Rendall als Energiebündel Marcello, Michael Borth als Schaunard sowie Samuli Taskinen als Colline glänzten als das weitere Freundestrio in bester stimmlicher Disposition und unbegrenzter Spielfreude.            

Das Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von Jordan de Souza spielte derart begeistert, dass man meinen konnte, dass das Orchester teilweise mit dem ausgelassenen Kinderchor des Hauses alternierend seine Partien geprobt hat. Farben und klangliche Gestaltung der Musik verwiesen deutlich mehr auf das 20. Jahrhundert denn auf eine vermeintliche Verdinachfolge.    

Großer Beifall und wieder eine ausverkaufte Aufführungsserie. 

Die Neuinszenierung ist eine Koproduktion mit dem Abu Dhabi Music Festival. Damit gelangt eine sensible, nicht auf das Startheater fixierte Opernproduktion in eine Region, deren angestammte Kultur mit dieser Tradition noch nicht vertraut ist. Bleibt zu hoffen, dass ihr jugendlicher spirit überspringt und der deal trotz oder wegen der sparsamen, aber sinnvollen Ausstattung auch für die Komische Oper einträglich ist.

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Iko Freese/drama-berlin.de

 
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