Die San Francisco Opera gedenkt Steve Jobs - dem genialen Erfinder und komplexen Menschen aus Kalifornien

Xl__75a3064 © Cory Weaver/San Francisco Opera

The (R)evolution of Steve Jobs

(Mason Bates)

San Francisco Opera

Erstaufführung San Francisco am 22.09.2023

Die amerikanischen Opernhäuser verkaufen heute mehr Tickets für Aufführungen zeitgenössischer amerikanischer Opern als zum Beispiel für die Klassiker von Verdi und anderen traditionellen Komponisten. Das führt vielerorts zu immer variantenreicheren Spielplänen und Auftragswerken. Dabei erleben nicht wenige dieser neuen Werke Folge-Inszenierungen an verschiedenen Opernhäusern in Amerika, aber auch im Ausland.    

Die San Francisco Opera hat zusammen mit der Santa Fe Opera und der Seattle Opera ein Werk zu Leben und Person von Steve Jobs beauftragt, das nach langer Verzögerung durch Corona nunmehr in der Stadt zur Aufführung kommt, in deren Nähe Steve Jobs lebte und in der auch heute noch die Schlangen vor dem Apple-Shop am längsten zu sein scheinen.

Das Werk erlangte bei der Uraufführung in Santa Fe 2017 große Beachtung und wurde landesweit in Neuproduktionen unter anderem in Austin, Kansas, Atlanta und Utah gespielt. Auch in Washington ist eine Produktion geplant.

Anlässlich der Uraufführung wurde von Pentatone ein Tonträger herausgebracht und mit einem Grammy für die  beste Opernaufnahme ausgezeichnet. 

Mason Bates stammt aus der Region San Francisco, und kreierte mit dieser Komposition seine erste Oper. Mark Campbell hingegen hatte bereits für verschiedene Komponisten nicht weniger als 25 Opernlibretti geschrieben, so zum Beispiel für die Oper Silent Night von Kevin Puts, die den renommierten Pulitzerpreis für Musik gewann. 

Die Zusammenarbeit der beiden Künstler gestaltete sich zunächst schwierig, denn Steve Jobs war eine Persönlichkeit mit vielen Widersprüchen und problematischen Charakterzügen. Seine Welt um Geschäft, Familie und Buddhismus bewegte sich zwischen Perfektionsstreben und Rastlosigkeit sowie der gleichzeitigen Suche nach Einfachheit und Ruhe andererseits.  

In seinem Weltbild strebte Jobs gewissermaßen nach einer Ordnung der menschlichen Unordnung, der Verknüpfung aller Lebensbereiche durch Kommunikation mit einem einzigen Gerät („one device“).

Dieses Ziel verhinderte jedoch keinesfalls eine große Unordnung in seinem eigenen Leben.

Die Geschichte entwickelt sich in 18 Bildern – oft nur drei bis fünf Minuten lang - , die im Jahr 1965 beginnt und in konzentrischen, zeitlich nicht-linear angelegten Kreisen sein Leben bis zu seinem frühen Tod 2011 mit nur 56 Jahren nachvollzieht.

Dabei werden auch Bilder zu seiner dunklen Seite, den menschlich schwierigen Charaktereigenschaften in privaten Beziehungen, Familie, Berufsumfeld ausführlich entwickelt.  

Die Musik arbeitet u.a. mit elektronischen Instrumenten. Sie nutzt Leitmotive und atmosphärische Klangkonstellation für die Charakterisierung und Entwicklung der handelnden Personen. Der Komponist geht soweit, diese Technik mit der Richard Wagners zu vergleichen. So wird Steve Jobs selbst von einer Elektrogitarre begleitet. In den anderen Stilmitteln mag man Elemente von u. a. Britten, Glass oder auch Bernstein heraushören. 

Die umfangreiche Orchesterbesetzung umfasst 65 Musiker, davon allein 40 Streicher, Holzbläser, Saxophon, Hörner, Trompeten, Harfe, Klavier, Pauke Schlagzeug sowie akustische Gitarre. Die Musik ist gekennzeichnet durch stakkatohafte, zahlreiche Synkopierungen, Einbettung in einen elektronischen Klangorbit mit vielen ironischen und komischen Momenten, aber auch ‚romantischen‘ Klanglinien insbesondere im Gesang. Wer Freude an der angelsächsisch-eklektischen Ausdrucksform zwischen Sprechgesang und sentimentalen, auch pathetischen (Gesangs-)Linien sowie aufrauschenden Klangbildern hat, kommt bei dem rd. 100-minütigem Werk voll auf seine Kosten.  

Das differenzierte elektronische Klangbild wird von Rick Jacobsohn gemeistert, das   Bühnenbild von Victoria (Vita) Tsykun. Die Kostüme dazu verantwortet Paul Carey. Die kunstvolle  Lichtregie stammt von Japhy Weidemann. 

Gearbeitet wird auf der Bühne mit sechs beweglichen Rechtecken (wie überdimensionierte Handys), die an den Vorderseite als Projektionsflächen für mannigfaltige Bildkreationen genutzt werden. Eine Gruppe von stage hands bewegt diese Elemente unsichtbar und mit ausgetüftelter Choreographie.    

Ganz entscheidend dabei ist das ‚Projection design‘ und die Videokunst von For 59 Productions, die schon für die aufsehenerregende Umsetzung von Philip Glass‘ Satyagraha an der Metropolitan Opera New York und der Los Angeles Opera sowie der National Opera London.

Die Stimmen der Sänger sind technisch eigebettet in einen elektro-akustischen Klang. John Moore als Steve Jobs feiert sein Debut an der San Francisco Opera, aber mit viel Erfahrung in der Rolle, die er in zahlreichen amerikanischen Produktionen auf der Bühne  bereits vertreten hat. Seine stimmliche und darstellerische Spannweite wird den verschiedenen Welten von Steve Jobs zwischen Rastlosigkeit, Erfindungsgeist, späterer Nachdenklichkeit und Einsicht in seine Krankheit menschlich bewegend gerecht. 

Mezzo-Sopran Sasha Cooke als Laurene hat die Rolle auch bei der Uraufführung in Santa Fe vertreten. Sie ist die Frau im Leben von Jobs, die durch ihre Wärme, Empathie und Zuneigung als einzige mit ganzem Herzen zu ihm durchdringt. Sie allein vermag ihn zumindest zeitweise zu erden und ihm ein Bewusstsein seiner schweren Krankheit und seines frühen, bevorstehenden Todes zu vermitteln. Der warme Mezzo von Sasha Cooke ergreift die Zuhörer. 

Entscheidender menschlicher Begleiter in Steves Leben war auch der Mönch Köbun Chino Otoghawa, dessen Erscheinung zwischen realer Welt und Jenseits changiert. Er steht Jobs mit tiefgreifendem Rat und andauernden Beistand zur Seite und leistet auch Widerstand in den Diskussionen mit ihm. Dabei nutzt er auch komisch-ironische Einwürfe („ ...karma can suck ...“). Der Bassist Wei Wu als Köbun bestreitet ebenfalls sein Debut an der San Francisco Opera, hat aber wie andere Sänger bereits Erfahrungen in der Rolle an anderen amerikanischen Bühnen, die er bezwingend zum Einsatz bringt.  

Bassist Bille Bruley als Steve Wozniak zeichnet die skurrilen und liebenswerten Züge des Mitgründers aus der Garage und langjährigen Weggefährten eindringlich nach. 

24 Mitglieder des San Francisco Opera Chorus unter John Keene geben mit viel Spielfreude vor allem den Angestellten in Jobs Firma Stimme und darstellerischen Ausdruck. 

Das San Francisco Opera Orchester spielt mit Verve und rhythmischer Finesse unter Michael Christie, der schon die Uraufführung und die Tonträgeraufnahme geleitet hat. Mason Bates wirkt selber an elektronischen Geräten im Orchestergraben mit.  

Das Publikum verfolgt die Aufführung mit Spannung, auch viel Spaß an den komischen Elementen und springt zum Schlussapplaus zu Recht begeistert zu einer standing ovation auf, die ihren Höhepunkt erreicht, als neben dem gesamten Produktionsteam auch der Komponist Mason Bates und Librettist Mark Campbell vor das Auditorium treten.    

Steve Jobs hat mit seinen technologischen Erfindungen die Welt der Kommunikation und darüber hinaus unwiederbringlich verändert – eines seiner Postulate war: „ ...nutze die Technologie, aber werde nicht abhängig von ihr...“ – genau daran aber bestehen heute auch immer größere Zweifel.   

Achim Dombrowski

Copyright: Cory Weaver/San Francisco Opera

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