Die Ausgrabungen der Opernfestspiele in Wexford 2017

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Oper in Irland bedeutet schon lange Wexford. Nicht nur, weil es in Dublin gar kein Opernhaus gibt, sondern auch weil das Festival von Wexford, gegründet 1951, sich eine internationale Reputation erarbeitet hat, folgte daraus, dass die Initiative auch den Titel „Irische Nationaloper“ führt.

Im Jahre 2008 hat man ein € 33 Millionen sogar ohne Budgetüberschreitungen ein neues Opernhaus eröffnen können, welches dem Festival seitdem einen repräsentativen Rahmen gibt. In einer kleinen Straße inmitten des Ortskerns liegt vollkommen unauffällig der Eingang, hinter dem sich von außen nahezu unsichtbar ein schöner Saal, gestaltet mit amerikanischem schwarz-braunem Walnussholz öffnet, und mit einer Sitzplatzkapazität von 780 Plätzen und modernster Technik ausgestattet ist. 

2006 konnte ein eigenes Orchester begründet werden, und 2011 schließlich wurde auch ein eigener Chor ins Leben gerufen.

Drei Aspekte charakterisieren das Festival:

  1. Jedes Jahr wird mindestens eine Opern-Wiederausgrabung zur Diskussion gestellt, die nach Meinung der künstlerischen Leitung der Organisation vollkommen zu Unrecht vergessen ist, bzw. nicht mehr aufgeführt wird.
  2. In Wexford erhalten insbesondere junge Künstler eine Auftrittsmöglichkeit auf einem international beachteten Podium, das Ihnen als Sprungbrett einer weitergehenden Karriere dienen kann, auch wenn sie die anspruchsvollen Partien, die sie speziell für das Festival lange vorbereiten müssen, mitunter andernorts gar nicht mehr singen können.
  3. Die außerordentlich persönliche Note des Festivals, bei welchem nicht nur der Intendant und Mitglieder des Leitungsteams allabendlich das Publikum persönlich begrüßen, sondern auch viele Iren sich ganz unkompliziert mit den internationalen Gästen mischen.

Neben den Opernaufführungen im Hauptprogramm bietet das Festival eine Fülle weiterer Veranstaltungen, z B Recitals junger Künstler, Arrangements von selten gespielten Werken in pocket opera Format, d.h. mit Klavierbegleitung oder einem Instrumentalensemble von nur wenigen Musikern, Einführungsveranstaltungen und vieles mehr.

Die Iren erscheinen bei den Opernabenden in großer Robe und Smoking, was bei vielen Opernhäusern heute nicht mehr üblich ist. Diese festliche Note bewirkt jedoch in keiner Weise eine steife oder komplizierte Atmosphäre; vielmehr wird die Oper mit großer Freude und viel Begeisterung erlebt und diskutiert. Mit Stolz und freudigem Ausdruck wird sogar vor jeder Aufführung der Festspiele die irische Nationalhymne auf Gälisch gesungen.   

Dieses Jahr standen zwei Ausgrabungen – versteckte Juwelen – mit den Opern italienischer Komponisten auf dem Spielplan: Margheritha von Jacopo Forloni, uraufgeführt im Jahre 1848 und Risurrezione von Franco Alfano aus dem Jahr 1904.

Von Jacopo Forloni (1824 – 1858) wurden zwei Opern in den letzten Jahren wieder auf die Bühne gebracht: zum einen 2013 in Wexford, dann aber auch in Oldenburg und Drottningholm Cristina, regina die Svezia, entstanden im Jahre 1849 und nun, in einer Co-Produktion mit dem Staatstheater Oldenburg, Margherita.

Forloni galt zu seiner Zeit, in welcher viele neue Opernhäuser in Italien aus dem Boden schossen, als einer der wichtigsten Komponisten. Wäre er nicht ganz jung mit nur 33 Jahren in Stockholm, wohin er nach Teilnahme an Protesten gegen die Besatzer Italiens fliehen musste, an Cholera gestorben, hätte er nach Meinung vieler Chronisten der Zeit einer der bedeutendsten Konkurrenten Verdis werden können. 

Seine Margherita hat bei der Uraufführung im März 1848 in Mailand großen Erfolg und das Publikum feierte den erst 23jährigen Schöpfer enthusiastisch. Wie bei anderen zunächst erfolgreichen Werken verschwand es jedoch von den Bühnen.    

Die Handlung folgt einer nicht untypischen Verwechslungs-, Verwirrungs- und Überraschungseffekten mit dem üblichen guten Ende (‚lieto fine’) und hat nichts mit der Faust-Vorlage zu tun, wie man vielleicht vermuten könnte.

Im Gegensatz zu dem in jeder Weise ausgereifteren Werk Cristina, regina di Svezia sind die Charaktere musikalisch noch nicht vollständig ausgeformt und die so klassisch mit den typischen komödiantischen Verwirrungen spielenden Szenen sind nicht selten stilistisch arg unvermittelt hintereinandergeschaltet.    

Der Regisseur Michael Sturm und sein Kostüm- und Bühnenbildner Stefan Rieckhoff mit Hilfe der Lichtregie von D.M.Wood verlegen die Handlung in die Zeit der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts und lassen sie auf einer Bühne mit Ruinen spielen – wie nach dem Ende des II. Weltkriegs. Angestrebt ist ganz offensichtlich die Darstellung eines Neuanfangs, bei dem auch überkommene gesellschaftliche Strukturen wie die zwar komische, aber unverantwortliche Machtausübung des Bürgermeisters, eine Chance auf Veränderung haben sollen. Mit einem souveränen Schuss Ironie gelingt es dem Regisseur Michael Sturmaus dem Geschehen eine unterhaltsame Einheit zu formen. 

Die Musik Forlonis ist eklektizistisch und vereint viele gängige Elemente der Zeit in ihrer Partitur. Wir hören Donizetti, Rossini, aber auch Elemente, die man für Verdi halten könnte, außerdem Operetten- und Walzerandeutungen.

Die Margherita der Alessandra Volpe und deren Freundin Giustina, dargestellt von Giuliana Gianfaldoni, glänzen ich ihren anspruchsvollen Solopartien und vereinigen sich immer wieder zu feinsinnig aufeinander abgestimmten Passagen in den Duetten. In ihren frischen 50er Jahre-Kleidern durchwandern sie stimmlich und darstellerisch überzeugend die rasch wechselnden Stimmungen der Handlung.

Perfekt in Spiel und Gesang auch der souveräne Matteo D'Aolito als Bürgermeister Ser Matteo. Der Sänger wirkte in jeder Hinsicht als ein erfahrener und spielfreudiger Vertreter von Buffopartien.

Durch die Rolle in weitaus schwierigerer Ausgangslage meisterte Filippo Fontana die Rolle des erfolglosen Liebhabers und Heiratsschwindlers gleichwohl hervorragend. Sein schöner Bariton wurde einfühlsam und in der stimmlichen Balance makellos geführt.

In der Rolle des Grafen Rodolfo hätte man sich von Yury Yurchuk einen kräftigeren stimmlichen Ausdruck gewünscht. Sein schönes Timbre und seine ausdrucksvoll geführte Stimme nehmen sofort für sich ein, doch gelänge ein überzeugenderer Auftritt, wenn der Sänger sein Material nachdrücklicher einsetzte und auch die darstellerische Erscheinung pointierter gelänge.

Der in den Mittellagen mit betörendem Schmelz ausgestatte Tenor von Andrew Stenson, der den Liebhaber Margheritas gibt, fehlen jedoch in der Höhe noch jede Strahlkraft. Über lange Partien klang der Vortrag angestrengt und beeinflusst auch das im allgemeinen vorhandene, hohe Niveau der technischen Stimmführung.

Das Orchester unter der Leitung von Timothy Myers spielte mit großem Enthusiasmus und war in der Lage, die vielen Stilelemente der Partitur geschmackvoll und nuancenreich miteinander zu verbinden.   

Der Name Franco Alfano (1875 – 1954) ist heute Fachleuten praktisch nur noch dadurch bekannt, dass er die Oper Turandot von Giacomo Puccini vollendet hat. Er war jedoch selber auch ein erfolgreicher Opernkomponist. 

Es ist völlig unverständlich, dass seine Oper Risurrezione nach der Textvorlage des Romans Auferstehung von Leo Tolstoi so vollkommen aus dem Repertoire der Opernhäuser verschwunden ist. Die Musik bietet ein eigenständiges, ausdrucksstarkes und für die Puccinizeit typisches, rauschhaftes Klangerlebnis. Auch bei diesem Werk war der Komponist noch keine 30 Jahre alt als er es schrieb.

Die Uraufführung fand 1904 unter Tullio Serafin in Turin statt. Zwischen 1906 und 1928 wurde das Werk dann weiter in Brüssel, Berlin, Mailand, Nizza, Chicago, Paris und Santiago de Chile zur Aufführung gebracht. In Italien erlebte es sogar bis zum Tode von Alfano 1954 über 1.000 Aufführungen. Danach ist es jedoch spurlos von der Bühne verschwunden und stilistisch wurde ihm ein altmodischer Verismus bescheinigt.

Das Regieteam unter Rosetta Cucchi mit Bühnenbildner Tiziano Santi, den Kostümen von Claudia Pernigotti und der Lichtgestaltung von D.M.Wood schafft szenisch eine wie aus einem russischen Film stammende, sehr realistische Szenerie für die Darstellung der Leidensgeschichte der Katiusha. Die junge Frau wurde von Prinz Dimitri verführt und verlassen, und endet schließlich als Prostituierte in Straflagern Sibiriens. Ein spätes Schuldanerkenntnis des Prinzen und seine Entschuldigung sowie die von ihm herbeigesehnte Wiedervereinigung als Paar in späteren Jahren kann sie nicht akzeptieren. Sie folgt ihrem Weggefährten Simonson, der sich in Katiusha im Lager verliebt hat, obgleich sie selbst zum Ausdruck bringt, dass sie dem Prinzen ihrerseits über die gesamte Zeit in tiefer Liebe verbunden war und ist.  

Der Regisseurin gelingt ein beklemmendes und berührendes Portrait einer zutiefst verletzten Frau. Anne Sophie Duprels gibt ein bewegendes Rollenportrait mit einer über alle Register und Ausdrucksformen wunderbar ausgewogenen stimmlichen Leistung, die keinen Wunsch offenlässt.

Ihr zur Seite überzeugt in ebensolcher Hochform Gerard Schneider als Prinz. Der Tenor verfügt über unbekümmerte und scheinbar grenzenlose stimmliche Strahlkraft und einen ungezwungenen jugendlichen Auftritt, der der Entwicklung der Rolle große Überzeugung verleiht.

Ebenso vermag Charles Rice als Simonson, der neue Weggefährten Katiushas, der ihr in tiefer Demut und mit Scheu nahe ist, stimmlich und darstellerisch voll zu überzeugen.

Von den zahlreichen mittleren und kleinen Rollen, deren Darsteller hier leider nicht alle gewürdigt werden können, sei doch zumindest noch Romina Tomasoni als Katiushas Freundin Anna in Jugendjahren genannt. Sie wie alle weiteren Mitglieder des Ensembles verliehen durch ihre vorzüglichen Beiträge dem Abend einen so bildhaften und nachhaltigen Eindruck.   

Der Chor unter der Leitung von Errol Girdlestone überzeugt in beiden Opernproduktionen durch seine große stimmliche und darstellerische Wandelbarkeit und Spielfreude.

Das Orchester unter der Leitung von Francesco Cilluffo gab auch an diesem Abend eine große Leistung und trug die Zuhörer nach nur einem Tag ganze Jahrzehnte weiter in der italienischen Operngeschichte. Die kaleidoskopartige Farbenpracht Forlonis und der Verismo Alfanos klangen gar nicht altmodisch, sondern boten eindrucksvolle und in Erinnerung bleibende Opernereignisse des so sympathischen wie künstlerisch überzeugenden Festivals in der kleinen irischen Stadt Wexford.

Bis zum nächsten Jahr!

Achim Dombrowski 

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