Der Troubador im Zeichen der Psychoanalyse

Xl_trovatore_18_khp © Bernd Uhlig

Oper der Stadt Köln

Giuseppe Verdi

Der Troubador

Premiere am  01. März 2020

Verdis Troubador steht auf der Hitliste der klischee-beladenen Opernhits mit Schauereffekten und Zigeunerromanik ganz weit oben. Da hilft es, wenn bei einer Neuinszenierung einer der heute renommiertesten Entrümpler der Opernbühne ans Werk geht. Mit Dmitri Tcherniakov hat sich die Oper Köln einen Experten auf diesem Gebiet gesichert, der schon die nicht minder klischee-geplagte Carmen bei den Hörnern packte und auf dem Festival von Aix-en-Provence wirkungsvoll für den heutigen Betrachter goutierbar gemacht hat. Bei diesem Kölner Troubador nun handelt es sich um die Übernahme einer Produktion des Opernhauses La Monnaie Brüssel, die dort bereits im Jahre 2012 herauskam.

Tcherniakov, der auch für die Einheits-Bühne sowie Kostüme verantwortlich zeichnet, entschlackt den Stoff gewaltig: keine Zigeunerromantik, keine Nebenpartien. Diese werden mit ihrer Stichwortfunktion von den Protagonisten gleich mitgesungen. Der Chor ist unsichtbar hinter dem Orchester positioniert. Handlung und Interaktion werden auf die fünf Hauptdarsteller beschränkt und fokussiert. Das Geschehen spielt in der heutigen Zeit in einem Haus, das architektonisch mit seinen Durchblicken in die Leere und Zimmer hinter der Tapetentür eindeutig aus der Zeit stammt, in welcher auch die Psychoanalyse begründet wurde.

Die Darsteller tragen Kleidung der Jetztzeit, nur Azucena als Außenseiterin und Initiatorin der therapeutischen Gruppenveranstaltung erscheint in schwarz-wallendem, mondänen Kleid wie von Siegmund Freud gefertigt, Modell Klytämnestra. Sie hat eine Gruppe von Leuten zusammengerufen, mit denen sie die Gründe teils schmerzhafter Prägungen aus der Vergangenheit bei sich selbst und den weiteren Teilnehmern der Gruppe durchleuchten will. Dazu gehört Manrico, ihr vermeintlicher, äußerlich cooler Sohn, seine ehemalige Geliebte Leonora, die wie eine Prinzessin, die versteinern musste, in stahl-weißer Perücke mit ebenso weißen, knie-hohen Stiefeln erscheint und unter den Gläsern einer übergroßen Sonnenbrille versteckt ihren Körper nur mit dringender Pillenunterstützung in Contenance hält. Azucenas gewichtiger Gegenspieler ist ein Graf Luna, der zugunsten Manricos von Leonora verschmäht aus sexueller Frustration der Gruppe im Verlauf der Begegnung das Fürchten lernen wird. 

In zunächst von Azucena eingeforderten Therapiesitzungen versuchen die Personen ihre tragische Vergangenheit oder ihre Frustrationen aufzuarbeiten. Die Verbrennung Azucenas Mutter als Hexe, das ungeklärte Verschwinden von Lunas Bruder, die Selbstaufopferung Leonoras für Manrico, der sich hier selbst als Muttersohn Azucenas entpuppt, unfähig zu einem uneingeschränkten Bekenntnis zu seiner Angebeteten. Nach Azucenas Initiativen in der Gruppe, übernimmt jedoch unerwartet Luna, der wie ein unfreiwillig im Zölibat lebender, frustrierter Liebhaber Leonoras wirkt, das Geschehen. Mit alle einschüchternder, lebensbedrohender Gewalt quält er die Leidensgenossen, setzt sie fortwährend mit einer Pistole unter Druck, bis er schließlich Ferrando und später Manrico erschießt. 

Nur scheinbar entfernt sich diese Lesart des Plots vom Ursprung der Vorlage. Wir erkennen eine Reihe individueller oder gesellschaftlicher Beweggründe, die in unserer heutigen Welt zu scheinbar unerklärlichen Gewalteruptionen, Amokläufen und Tod führen. So absurd und schauer-märchenhaft die ursprüngliche Vorlage daherkommt, so real sehen wir die Folgen von Schmerz, Unterdrückung und Frustration auch heute. Eine ungemein intelligente Interpretation, die das Werk aus der Ecke eines absurden, romantisch-wabernden Opernunsinns befreit.  

Marina Prudenskaya als nachgerade sehnig-disziplinierte Azucena hält im ersten Teil die Fäden zusammen und dominiert in eindrucksvoller Weise die Szene. Ihr perfekter Mezzosopran kann die gesamte Skala zwischen samtweicher Färbung und todesnahem Aufschrei scheinbar mühelos bewältigen. Arnold Rutkowski als Manrico wollte trotz einer nur annähernd geheilten Erkältung die Anforderungen der Manrico-Partie in der Premiere meistern. Das gelang jedoch nicht. Nachdem die Stimme im ersten Teil des Abends schon belegt und angestrengt klang, musste er sich im zweiten Teil mit der stummen Darstellung der Rolle auf der Bühne beschränken, während George Oniani, fest engagiert an der Bonner Oper, die Partie von der Bühnenseite sang, um den Abend zu retten.

Aurelia Florian gab eine berückende und Leonore, die darstellerisch extrem wandelbar auch die gesanglichen Anforderung der schwierigen Partie meisterte, wobei sie von allen Protagonisten im Zuge der Personenführung auch in ihren Arien oft vom Publikum angewandt singen musste, was die Gesamtleistung weiter erschwert. 

Zwei Sänger waren schon 2012 in Brüssel dabei: Scott Hendricks gab einen tendenziell als Bariton hoch liegenden, aber nicht weniger durchschlagenden Luna, der mit seinem schonungslosen, schließlich zu wahnsinnigen Gewaltausbrüchen verzerrten Spiel eine erschütternde Charakterstudie eines Amokläufers liefert. Der Ferrando von Giovanni Furlanetto sang ohne Tadel und spielte einen irgendwie auf Ausgleich bedachten, zerstreuten Professor, der das auch nicht alles wollte.    

Chor und Extrachor der Oper Köln unter der Leitung von Rustam Samedov waren – hinter dem links der Bühne spielenden Orchester  positioniert, was jedoch der stimmlichen Durchschlagkraft und düsteren atmosphärischen Wirkung keinen Abbruch tat.  

Das Gürzenich-Orchester Köln unter der Leitung von Will Humburg spielt präzise, vermeidet alle knalligen Effekte, und liefert wie ein feines Uhrwerk die Rhythmik und den Duktus der austarierten Musik Verdis. Damit verschafft es den Sängern und der spezifischen Interpretation des Werkes einen überzeugenden, geerdeten Klangkosmos.

Bei aller kreativen Deutung und klugen Umsetzung verblieb jedoch eine gewisse, nicht erklärbare  Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum. Mag das daran liegen, dass der Regisseur die Arbeit der szenischen Einstudierung in Köln einem (erfahrenen) Assistenten überlassen hat? Oder war die für das szenisch-psychologische Konzept perfekt ausgewählte Sängergruppe in ihrer konzentrierten Fokussierung zu stark auf die Abstraktion des Subtextes gerichtet?     

Der Begeisterung des Publikums tat das keinen Abbruch: Jubel für die Sänger und lang anhaltender Beifall für alle Mitwirkenden.       

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: © Bernd Uhlig; http://www.bernd-uhlig-fotografie.com

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