Capriccio in der Resistance Neuinszenierung an der Oper Frankfurt

Xl_3437_capriccio10_gross © Monika Rittershaus

Eine bewusste Auseinandersetzung mit der letzten Oper Richard Strauss’ kann sich der Tatsache nicht entziehen, dass sowohl der Komponist Richard Strauss als auch der Textdichter Clemens Krauss hohe Funktionsträger und Begünstigte im Dritten Reich waren und mit Capriccio ein für die Entstehungszeit und die historischen Umstände äußerst welt-entrücktes Sujet aufgreifen. In dem „Konversationsstück für Musik“ wird in feinsinnigen, intellektuellen Erörterungen und im Rahmen der Handlung einer Liebesgeschichte eine der Ur-Fragen zu Geschichte und Philosophie der Oper diskutiert: nämlich ob dem Wort oder der Musik die gewichtigere Rolle in dieser Kunstform zustehe. In dieser letzten Oper des Komponisten handelt es sich mithin um eine Reflexion über die Oper durch die Oper, uraufgeführt in München im Oktober 1942, mitten im zweiten Weltkrieg.

Auch Brigitte Fassbaender will auf den historischen Hintergrund der Entstehungszeit verweisen: in ihrer neuen Inszenierung spielt die Handlung in einem Schloss in Frankreich in den 1940er Jahren zu Zeiten der deutschen Besatzung. Allerdings sind die visuellen und inhaltlichen Bezüge zur Entstehungszeit des Werkes gering. Die im Schloss gefertigten Plakate mit der Aufschrift „Liberation“, das gelegentliche ironisch-kritische Hochreißen des rechten Arms einzelner handelnder Personen, sowie die Ausstattung der Gräfin in Trenchcoat und Resistance-Kappe bei ihrem Abgang sind mehr als dezent und vermögen nicht eigentlich einen neuen Blickwinkel auf das Werk zu vermitteln, wiewohl der nachdenkliche Hinweis auf die zeitgeschichtlichen Umstände verdienstvoll, ja zwingend erscheint.

Wirklich überzeugend ist hingegen das Bühnenbild von Johannes Leiacker, auch mit Hilfe der Lichtkunst von Joachim Klein gelingt eine eindrucksvolle bildhafte Umsetzung einer Atmosphäre zum Ende einer Epoche. Eine in einem übergroßen, mit Fenstern ausgestatteten Gartenpavillon positionierte Bühne begrenzt mit ihrem geschlossenen Vorhang den Hintergrund des Bildes. Im Schlussbild weitet sich der Raum nachgerade zeit-tunnelhaft ins Unermessliche. Die Bühne ist perspektivisch weit nach hinten verschoben, der Gartenpavillon erscheint wie in einem optischen Sog verlängert und erzeugt das Gefühl einer Verlorenheit in Zeit und Raum. Ein eindrucksvolles Bild! Die ebenfalls von Leiacker gefertigten Kostüme stellen dazu ein ironisch-leichtes Gegengewicht dar. Sie entstammen überwiegend stilistisch den 40er Jahren, lassen aber die Gräfin am Ende in einem Rokokokleid erscheinen, das sie ganz zum Schluss gegen ihre Resistance-Erscheinung eintauscht.     

Eine Realisierung der Oper hat mit fast zweieinhalb Stunden pausenlos gespielter Konversation, bzw. Nicht-Handlung, große Textmengen zu bewältigen und in der Interaktion der immer nur plaudernden, nie handelnden Personen, unterhaltsam verständlich zu machen. Dies erfordert nicht nur ein Orchester, welches mit dem Duktus im Spätwerk des Komponisten aufs Beste vertraut sein muss, sondern auch ein Sängerensemble, welches den spezifischen Strauss’schen Sprechgesang souverän beherrscht; ganz zu schweigen von der Rolle der Madeleine, die zusätzlich noch das stimmliche Volumen und die Gesangsbögen in Reminiszenz an eine Marschallin und Arabella bewältigen muss.

All das hat die Oper Frankfurt ohne Einschränkung zu bieten. Camilla Nylund gibt eine in Stimme und Erscheinung ideale Gräfin. Souveräne Stimmführung und diszipliniertes Spiel wandeln genau auf der Gratwanderung der Darstellung einer reifenden, aber noch jungen Frau und der Melancholie des Nicht-Entscheiden-Könnens und des Abschieds. Durch ihre eindrucksvolle Erscheinung gibt sie auch den zurückhaltenden szenischen Bildern aus der Entstehungszeit des Werkes, z B bei ihrem Abschied und Weg in die Resistance visuell Gewicht.

Hervorragend auch das sie umgebende Männerensemble, angefangen mit den beiden Verehrern Flamand, verkörpert von AJ Glueckert und Olivier von Daniel Schmutzhard, sowie des Bruders von Gordon Bintner. Alle drei Sänger sing-sprechen und spielen ihre Rollen perfekt. Sie lassen auch darstellerisch keinen Wunsch offen.  Alfred Reiter als Theaterdirektor La Roche versteht es vorzüglich seine in Teilen textlich breit ausgewalzten, selbstverliebten Rollenteile so unterhaltsam wie möglich und dabei gleichzeitig textverständlich über die Rampe zu bringen. Dabei hätte die Rolle leicht ins Lächerliche abgleiten können.Tanja Ariane Baumgartner gibt eine recht dunkel-timbrierte, im Auftritt außerordentliche selbstbewusste Clairon, die ihre üppigen stimmlichen Mittel mit bravouröser Disziplin und Textverständlichkeit einzusetzen weiß. Auch die kleinen Rollen sind rundum vorzüglich besetzt. Der bühnenerfahrene Graham Clark brilliert als kauzig-schillernder Souffleur Monsieur Taupe, der Haushofmeister wird von Gurgen Baveyan überzeugend vertreten.

Gar nicht genug hervorheben kann man Sebastian Weigle mit seinem Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Welch eine Leistung! Mit ausdrucksstarker, gleichsam schwebend-rhetorischer Geste bei den Konversationspassagen, pointierter Rhythmik bei den entscheidenden Stellen der Ensembleszenen sowie den großen spät-romantischen Bögen in den Szenen der Gräfin scheint dieses Orchesterkollektiv unter seinem Generalmusikdirektor mit nachgerade traumwandlerischer Sicherheit und Souveränität zu wandeln. Ein so vorzügliches Ensemble auf der Bühne und im Graben fordert in der Tat dazu heraus, dieses Werkunikum zur Diskussion zu stellen.   

Das Publikum wusste den glanzvoll dargebotenen Abend zu genießen: Nachhaltiger Beifall für alle Beteiligten und viele Bravorufe unter anderem für Frau Nylund sowie Herrn Weigle und sein glänzendes Orchester.

Achim Dombrowski

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