Bei den Barocktagen an der Staatsoper Berlin wird eine frühe Mozart-Oper zum Ereignis

Xl_c2b3e301-d9b7-4897-a7fc-ea7879db955f © Bernd Uhlig

Mitridate, Re di Ponto

(Wolfgang Amadeus Mozart)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Premiere am 04.12.2022

Die Oper – auf der Basis eines Textes von Racine in der Bearbeitung des Librettos von Vittorio Amedeo Cigna-Santi -  beinhaltet die in der Entstehungszeit typischen Handlungselemente: einen asiatischen Kleinstaat in der kriegerischen Auseinandersetzung mit Rom, einen König und Vater, der in seiner Abwesenheit seine Kinder und die ihm zugesprochene Frau auf die Probe stellt sowie bestimmte, potentiell tragisch aufgeladene  Überkreuz-Liebesbeziehungen.   

Für den japanischen Regisseur Satoshi Miyagi ist Mitridate, Re di Ponto nicht die erste Arbeit in Europa. Er hat unter anderem bei den Festspielen in Aix ein Provence gearbeitet. Für den Regisseur enthält das Werk durch die Musik Mozarts eine der tragischen und prospektiv weiterhin kriegerischen Handlung entgegengesetzte Dimension. Nämlich einen Aufruf zum Frieden, zur Versöhnung und zu einer gemeinsam gestalteten Zukunft der seit langem verfeindeten Parteien. Miyagi zieht im Interview des Programmhefts dazu eine Parallele zur Situation Japans nach dem zweiten Weltkrieg, das den westlichen Gegnern, insbesondere den USA nach der Niederlage die Hand reichte.

Gerade die in-sich gekehrten Arien der Trauer und der Melancholie Mozarts bestätigen für ihn eine solche Sichtweise, auch wenn diese in Teilen von der äußeren Handlung abweichen, bzw. sich sogar konträr dazu verhalten.

Das Bühnenbild von Junpei Kiz basiert auf der Struktur der Tempelanlage von Potala in Lhasa, Tibet. Die Bauteile sind mit beeindruckenden, farblich sensibel ausgeführten Wanddesigns versehen. Der Gesamtgestaltung liegt das Anliegen des Kabuki-Theaters zugrunde, dass eine Theateraufführung immer zunächst auch den Göttern Freude bereiten muss. Auftritte und Abgänge sind schon durch die niedrig gehaltenen Palasttüren praktisch nur in der Haltung einer Verneigung, nachgerade einer Unterwerfung möglich.   

Die Kostüme von Kayo Takahashi Deschene sind ganz in Gold gehalten. Sie sind für die Künstlerin in dieser Farbgebung durch die ‚goldene‘ Musik Mozarts evoziert.

Anfang und Ende der Oper sind in besonderer Weise gestaltet. Es ist eine zerstörte, dunkle Landschaft nach heftigen Kriegsverwüstungen zu sehen, in der Menschen mit kleinen, warmen Lichtern über eine Fläche mit toter Asche Orientierung zu finden suchen. Für Miyagi ist dies Ausdruck des Rufes nach Frieden und Versöhnung.

Eine Personenführungen oder auch nur ein Ausagieren einer Handlung bei den Arien und Rezitativen findet nicht statt. Gemäß der Philosophie des hochartifiziellen Kabuki-Theater wird die Szene nachgerade eingefroren. Gefühle und Emotionen dürfen gestisch nicht zum Ausdruck gebracht werden. In gewisser Weise erinnert diese Vorgehensweise an die strikte, methodisch starre Form der Barockoper, die ebenfalls durch ein enges Konzept in der Formausprägung charakterisiert ist. Der Betrachter wird so noch stärker auf die Musik fokussiert, die er anders und konzentrierter als zusammen mit einem äußeren Agieren entlang einer Handlung wahrnimmt.

Das Konzept geht – auch gegen die in Mitteleuropa übliche Sichtweise - überzeugend auf, möglicherweise auch deshalb, weil die Oper in ihrer kruden Handlungsentwicklung ohnehin nur wenig Phantasie für eine im klassischen Sinne folgerichtige psychologische Führung der Personen zulässt.

Die Musik des 14-jährigen Mozart ist einerseits zwar nach den Maßgaben und speziellen Forderungen der damaligen anspruchsvollen Sänger-Akrobaten konzipiert. Sie ist jedoch gleichzeitig so seelenvoll und teilweise musikalisch weit in das zukünftige Schaffen weisend gelungen, dass es viel anspruchsvolle und spannende Musik zwischen Gurgelakrobatik und Seelenerforschung zu hören gibt.

Es war seinerzeit nach einigen kleineren Bühnenwerken die erste große, tragische Oper, auf deren Beauftragung Vater Leopold und Sohn Wolfgang auf ihren langen Italienreisen gehofft hatten. Die Uraufführung fand am 26. Dezember 1770 in dem Vorläufer-Haus der Scala, dem Teatro Regio Ducale in Mailand statt.

Marc Minkowski ist mit dem von ihm 1982 gegründeten LES MUSICIENS DU LOUVRE zu den Barocktagen der Staatsoper nach Berlin gekommen. Neben Gastspielen mit einem breit gefächerten Repertoire in der ganzen Welt hat er mit dieser Kompagnie das Werk bereits 2006 bei den Salzburger Festspielen sowie gerade erst 2021 in einer neuen Tonträgeraufnahme präsentiert. Er ist also mit dem Werk seit vielen Jahren und in unterschiedlichen Sängerbesetzungen vertraut.

Die kernige, entschlossene Spannkraft des Instrumentenspiels, die wir ache Sprache der Rezitative machen den Abend zum Erlebnis. Dazu tragen ganz wesentlich die Originalinstrumente der Zeit bei. Hervorzuheben sind die besonders schönen, anspruchsvollen und sensibel vorgetragenen Horn-Soli von Charles Corda Sanz aus dem Ensemble des Orchesters.    

Unfassbar kompetent und engagiert die Sängertruppe. Der Mitridate von Pene Pati muss sich mit extremen, gewissermaßen ansatzlosen Höchsttönen bewähren, die wohl auf das Bedürfnis des Sängers bei Auftragsvergabe zurückgeht. Gleichzeitig sind seine piano- und pianissimi-Phrasen von außerordentlicher Leuchtkraft.

Die Aspasia von Ana Maria Labin brilliert mit makellos vorgetragener Koloraturkunst und Angela Brower als einer der beiden Söhne des Königs Mitridate – Sifare – begeistert mit hingebungsvoller Phrasierung.  

Der zweite, gefühlsmäßig stark schwankende Sohn Farnace wird von dem grandiosen Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian gesungen. Seine Stimme zeichnet sich unter anderem durch ein faszinierendes tieferes Register aus.  

Die Ismene - im Gewand einer thailändischen Prinzessin – vertritt Sarah Aristidou in ihrem bewährten, überlegenen Format. Sahy Ratia sowie Adriana Bignagni Lesca runden als compimarii das grandiose Ensemble ab.

Während die Welt eine Relativierung der Globalisierung diskutiert, erklimmt die Staatsoper hier neue Gipfelpunkte: das siebenköpfige Sängerensemble kommt aus allen Teilen der Welt und sieben verschiedenen Ländern: Samoa, Rumänien, USA, Frankreich, Zypern, Madagaskar und Gabun – integrativer geht’s nicht – wenn das kein Zeichen des Miteinander ist. 

Das volle Haus feierte alle Künstler, einschließlich des Regieteams, mit großer Begeisterung.

Achim Dombrowski

 

Copyright: Bernd Uhlig

 

 

 

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