Alles was Oper kann und Hamburg nicht zu hoffen wagte - mitreißender Start in die neue Ära

Xl_bild © Monika Rittershaus

Hamburgische Staatsoper

Das Paradies und die Peri

(Robert Schumann)

Premiere 27. September 2025

Hamburg bricht auf in eine neue Ära. Tobias Kratzer als Chefregisseur und Intendant der Hamburgischen Staatsoper will das Haus mit neuem Leben erfüllen, die Gattungsgrenzen der Oper austesten, die Stadtgesellschaft wieder erreichen, auf vielfältige Weise auf sein Publikum zugehen und die Institution der Hamburgischen Staatsoper aus dem Dornröschenschlaf wecken. Dazu gehört auch das Anknüpfen an die legendäre Zeit Rolf Liebermanns mit der Tradition mindestens einer substantiellen Uraufführung pro Jahr. 

An der Seite Kratzers steht der aus Israel stammende Omer Meir Wellber, neuer Generalmusikdirektor des Hauses mit Orchester-Erfahrungen aus Valencia, Dresden, Palermo und Wien – außerdem ein begnadeter Akkordeonist und Pianist. 

 

Und das neue Team hat auch schon geliefert. Noch vor der ersten Premiere im großen Haus wurden fokussiert Jugendliche über soziale Medien angesprochen und kostenlos in die Generalprobe  geladen. Hunderte sind gekommen. Das führte nicht nur zu einem für die jungen Besucher überraschenden Einblick in die gar-nicht-so-altmodische Welt der Oper, sondern auch zu wertvollen Hinweisen für die Bühnenkünstler hinsichtlich der Reaktionen aus dem Auditorium während der Aufführung, die im besonderem Maße den Betrachter einzubeziehen sucht.    

Die Oper bietet mit einem neuen Team in der Dramaturgie viele neu strukturierte Einführungsveranstaltungen, Zusatzangebote, Gesprächsrunden mit Komponisten und Künstlern der Produktionen. Interessieren muss man sich immer noch selbst, z B nach der Initialzündung eines kostenlosen Probenbesuchs. Aber dann gibt es Orientierungen aller Art, um sich das Geheimnis der Oper zu erschließen und weitere Vorstellungen zu besuchen.       

Dabei ist Das Paradies und die Peri als weltliches Oratorium - von Robert Schumann 1843 komponiert -  ein ungewöhnlicher Start, der sofort auch die Gattungsgrenzen der Oper testet, was erklärtermaßen auch eines Ziele Kratzers ist. Denn es ist gar keine Oper, sondern eine musikalische Erzählung in Form eines weltlichen Oratoriums in drei Teilen. 

Nicht wenige Dirigenten haben konzertante Aufführungen oder Tonträgeraufnahmen des anspruchsvollen Werkes umgesetzt. Daniel Barenboim und Jürgen Flimm waren außerdem von einer weiteren Nicht-Oper Robert Schumanns Szenen aus Goethes Faust so fasziniert, dass sie diese zum Neustart nach der Renovierung der Staatsoper Unter den Linden in Berlin 2017 auf die polierten Bretter brachten.     

Bei der Peri sind einzelnen Darstellern Handlungsrollen zugeordnet, andere werden nur mit ihrem Stimmfach bezeichnet, der Tenor gibt eine Art Erzähler und der agile Chor verkörpert die Himmelscharen. 

Im Libretto von Emil Flechsig nach der Dichtung Laila Rookh von Thomas Moore sucht die aus dem Himmel gefallene Peri in das Paradies zurückzukehren. Drei Anläufe muss sie unternehmen: sie durchwandert Stationen des Kriegs, der Pandemie und des Klimawandels. 

Ihr Erleben wird in den Reaktionen des Publikums auf einer Leinwand jeweils per live-Kamera reflektiert. Im ersten Teil verlässt eine wütende Zuschauerin unter Protest schreiend und türenknallend das Parkett; im zweiten Teil überwintert ein reifer Zuschauer – obgleich neben der schönsten Frau im Hause positioniert – im tiefen Opernschlaf.

Im dritten Teil bewegt sich Peri - inzwischen im Blut getränktem Kleid - auf einem im Video im Parkett sichtbar gewordenen alten Mann zu, der unter dem Eindruck seiner Lebenssünden Tränen der Reue verströmt. Dazu klettert sie auf den Stuhllehnen des Parketts, von den Zuschauern spontan gestützt und gehalten auf den Weinenden zu. Eine effektvolle, für die Sängerin schwierige Akrobatik, wie sie vor Jahren auch Nicole Chevalier bei Benedikt von Peters La Traviata zu bewältigen wusste.    

Kratzer und sein langjähriges Team Rainer Sellmaier für Bühne und Kostüme sowie Manuel Braun für die Videokunst entwerfen Engel mit den aller-schönsten Flügeln, blaue Himmelskörper, und auch eine neuzeitliche Weltkugel, die alle in ihrer einfachen Art keine kitsch-getränkte Süßlichkeit scheuen, um dem Geist des Werkes aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ironisch Ausdruck zu geben. 

Über die Einbeziehung des Publikums, spätestens im dritten Teil, wird die  Bedeutung der Empathie als Chance zur Erkenntnis der Krisen dieser Welt deutlich. Empathie als notwendiger Ausgangspunkt für Lösungen. 

Das himmel-hochjauchzende Finale im Bubble des christlichen Idealhimmels wird am Schluss wieder gebrochen. Im größten Jubel verweigert sich die Peri der Wiederaufnahme ins Paradies und stürmt entsetzt davon. Es gibt (noch -?) keine Lösung der ewigen Krisen, denen die Menschen ausgesetzt sind.  

Der Betrachter muss all diese existentiellen Ausdrucks- und Bildmomente aktiv aufnehmen, für seine eigene Perspektive zusammenführen und seine eigene Rolle dazu entwickeln. In einem solchen Konzept, mit der Musik Schumanns und dem ausgezeichneten musikalischen Team ein spannendes Erleben. 

Da ist es dann auch eine Auszeichnung von besonderer Art, wenn ein unendlich-erfahrener, verhärmter Großkritiker in einer Zeitung für Deutschland das Ganze als Selbstgenuss eines Regie-Virtuosen bezeichnet.   

Vera-Lotte Boecker als Peri führt ihren meisterhaft geführten Sopran in einer stupenden Reinheit des Klangs in immer bewegendere Sphären und lässt das Publikum keine Sekunde aus ihrem Bann.     

Annika Schlicht als neues Ensemble-Mitglied in Hamburg überzeugt in der Altpartie. Kai Kluge ist ein ausdrucksstarker Erzähler, der seinen klangschönen Tenor mit perfekter Diktion zum Einsatz bringt. Auch Christoph Pohl als Bariton/Gazna/Mann kann seinen kernigen Bariton wirkungsvoll zum Einsatz bringen. Der russische Countertenor Ivan Borodulin verkörpert den Engel, der der Peri den Zugang zum Himmel so oft verwehrt.   

Der Chor der Hamburgischen Staatsoper unter der neuen Leitung von Alice Meregaglia brachte sich stimmlich und darstellerisch mit größte Einsatz und Spielfreude ein.  

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter seinem neuen Chef Omer Meir Wellber spielte außerordentlich durchsichtig und fein-nervig und vermochte sich von Szene zu Szene rasch in Klang und Atmosphäre umzustellen.  

Das Publikum im ausverkauften Haus erhebt sich unter Bravorufen und lang anhaltendem Beifall für alle Mitwirkenden von den Sitzen. Ein seltener Anblick der uneingeschränkten Begeisterung in Hamburg. Ein großer Start in die Zukunft der Oper in der Hansestadt!     

Achim Dombrowski

Copyright Fotos: Monika Rittershaus

 

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