Weltverlöschen: Regie steigert das Skandalon der Décadence zum Drama der Destruktivität schlechthin

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Salome Richard Strauss Besuch am 8. Oktober 2023 Premiere am 23. September 2023

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Weltverlöschen: Regie steigert das Skandalon der Décadence zum Drama der Destruktivität schlechthin

In der Ära eines Herbert von Karajan, Karl Böhm und Georg Solti überwiegen in Salome-Inszenierungen eines Boleslav Barlog oderGötz Friedrich orientalische Ornamentik und die lasziv aufgeladene Atmosphäre am Hof des Tetrarchen zu Judäa. In den Jahrzehnten danach entwickelt sich der vorherrschende Regiestil bei Salome-Aufführungen mehr und mehr zu einem psychologisierenden Umgang mit den Abgründen der menschlichen Seele. 2015 rücken Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka in ihrer Inszenierung für das Theater Bonn die individuelle Zerstörung elementarster menschlichen Werte, die Schändung von Kinderseelen durch sexuellen Missbrauch, in das Zentrum.

Jetzt ist am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier eine Salome des Weltverlöschens der Humanität zu sehen. Das Skandalon der Décadence weitet sich in der Inszenierung von Manuel Schmitt zum Drama der menschlichen Destruktivität schlechthin. O, was wird geschehen?, fragt rhetorisch der Page, um sich gleich die Antwort zu geben:Ich weiß, es wird Schreckliches geschehen.

Für dieses Schreckliche haben Julius Theodor Semmelmann (Bühne) und Carola Volles (Kostüme) ein Szenario der schieren Düsternis geschaffen. Wo in den Regieanweisungen des Librettos, der von Hedwig Lachenmann geschaffenen Übersetzung des ursprünglich in Französisch verfassten Bühnenerfolgs Oscar Wildes von 1901, vom „sehr hellen Mond“ über der Terrasse des Herodes die Rede ist, beherrscht eine blass-schmutzige große Mondsichel einen in totalem Schwarz gehaltenen Raum. Schwarz ist das Podest, wo Salome ihren Tanz zeigen wird, um das Versprechen ihres Stiefvaters einzulösen, ihr den Kopf des Jochanaan zu geben.

Schwarz sind zwei Klaviere, die Treppen im Hintergrund und die Vorhänge vor den seitlichen Räumen, von denen sich das Geschehen unbemerkt beobachten lässt. Ein Geschenk für Voyeure. Schwarz sind die Kostüme der Akteure, auch das Gewand Salomes anfänglich. Alles ist in Schwarz gehalten, in der Farbe des Okkulten, des Todes, des Faschismus. Auch die Lichtregie von Patrick Fuchs passt sich dem Dunkel an.

In das Konstrukt der reinen Düsternis bricht mit Jochanaan das Licht herein. Der Käfig, im Original die Zisterne, in der der Prophet vegetiert, wird von hellen Strahlern beleuchtet, als er von seiner Position unter dem Podest quälend langsam nach oben gefahren wird. Es ist die Symbolik der Befreiung, Zukunft, Erlösung verheißenden Gegenwelt, des Widerspruchs zur Apokalypse. Jochanaan kündigt den Messias prophetisch als jemanden an, der „im Angesicht alles Volkes in einem Silbermantel sterben wird“. 

In Schmitts Bild vom Propheten ist dieser allerdings in einem schmutzig-weißen Kostüm mit Kopfmaske gehüllt, die mindestens die Frage provoziert, wieso Salome von seinem Leib schwärmen kann, der „so weiß wie nichts in der Welt“ sei. Den sie berühren, dessen Mund sie küssen will, getrieben von eigenem Willen, von rasender Lust. Jochanaans befremdliche Erscheinung wird noch durch die merkwürdigen Bewegungen von Geschöpfen in seinem Käfig gesteigert, die jenen Nattern gleichen, in deren Vorstellung Salome sich in Wahn steigert.

In diesem Ambiente entwickelt sich das Ringen Salomes um Jochanaans Zuwendung, das Drama der verlangten, ertrotzten und versagten Blicke. Jochanaan kann seinen Käfig entriegeln und verlässt die Szene durch eine Öffnung an der linken Seite der Bühne. Danach bleibt er unsichtbar bis zu dem Moment, in dem der Henker das Haupt bringt. Seine Stimme, die Salome an ein „Weihrauchgefäß“ gemahnt, ist allenfalls noch aus dem Off zu hören. Die Prinzessin tauscht als einzige der Protagonisten ihr schwarzes Kostüm gegen ein helles Kleid. So in den Fokus der Betrachtung versetzt, wird sie im „Tanz der sieben Schleier“ in einer Weise zum Objekt der sexistischen Männerwelt, wie sie vermutlich noch nie zuvor auf der Bühne zu sehen war.

Der Choreograph Tenald Zace lässt sie, jetzt mit einem schwarzen Tuch über dem Gesicht den gierigen Blicken der Männer wehrlos ausgesetzt, wie eine Trophäe von Mann zu Mann wandern. Ist sie eben noch unter den Leibern der Soldaten, Nazarener oder Juden fast verschwunden, schwebt sie Sekunden später über dem Rest der Gruppe.

Verstörende Bilder in einem ekstatischen Ballett des Obszönen, das die Barbarei dieser patriarchalischen Welt schmerzhaft bewusst macht. Am Ende wird die Prinzessin, die bei Schmitt zum Ausschuss mutiert ist, mit Farbe traktiert, eine Identität ausradiert. Fast teilnahmslos von Herodes beäugt, der nichts Besseres als seinen vollgefressenen Bauch zu präsentieren weiß. Das Vexierbild eines Herrschers, dem zwar Macht gegeben ist, aber weder Empathie noch Charisma.

Bei der Dresdner Uraufführung 1905 ist die Musik von Richard Strauss mit ihren vielfältigen Farben und der eigenwilligen Instrumentation, sind die aufreizende Rhythmik sowie der riesige Orchesterapparat eine Sensation. Unter der musikalischen Leitung von Rasmus Baumann erzeugt die Neue Philharmonie Westfalen mit großem Engagement und massiver Tutti-Furore die fiebrig-schillernde Klangwelt am Hofe des Tetrarchen, die zwischen den Polen des Geschehens, Verführung und Verlotterung, pendelt. Ob im mitreißenden Orchesterzwischenspiel oder in den subtilsten Passagen mit einsamem Kontrafagott und beschwörender Klarinette – Baumann inspiriert sein Orchester zu beachtlichem Strauss-Niveau.

Idealtypisch ist Salome für Strauss die „16-jährige Prinzessin mit der Isolden-Stimme“. Eine Utopie. Susanne Serfling ist eine grandiose Salome, im Exzessiven ihrer kindlich-weiblichen Gefühlswelten wie im schrillen Irrsinn, der sie nach der Abweisung durch Jochanaan überfällt. Sie lotet mit ihrem zupackenden dramatischen Sopran und dem entrückten Sprechgesang die Facetten dieser monströsen Rolle eindrucksvoll aus. Die Zumutung, die ihr die Regie spielerisch abverlangt, kostet sie so viel Konzentration und Energie, dass man sich über ihre sängerische Leistung nur wundern kann. Berührend gestaltet sie die gelegentlich frei nach Tristan als „Salomes Liebestod“ apostrophierte Schlussszene, in der Strauss den Schrecken der Handlung durch melodische Schönheit und unvergleichliche Klangvirtuosität relativiert.

Benedict Nelson versteht es mit seinem volltönenden Bariton, dem Jochanaan die ariose Wucht zu verleihen, die die Rolle des Propheten und Kritikers des lästerlichen Lebenswandels am Hofe des Herodes erfordert. Das degenerierte Paar auf dem Thron erfährt in Martin Homrich als Herodes und Almuth Herbst als Herodias eine vorzügliche Besetzung. Herbst reizt die Rolle der diabolischen, von tiefer Eifersucht auf ihre Tochter getriebenen Gemahlin, die am Ende triumphiert, bis zum Äußersten aus. Keine Familie auf dieser Welt kann eine solche Spannung aushalten.

Homrich ist mit seinem gelegentlich brachialen Tenor und brilliantem Spiel, meist an Krücken unterwegs, der Prototyp des Parvenues, der es durch Intrigen und Mord bis in die Regentschaft Jerusalems geschafft hat. Ein Narziss und Realitätsleugner, dessen morbiden Charakter Strauss mit einem einzigen Satz entlarvt. Ich erlies keinen Befehl, dass er getötet werde, kommentiert Herodes die Nachricht vom Suizid des Hauptmanns Narraboth. Homrich spielt diesen Moment mit lakonischer Kälte.

In der Rolle dieses Narraboth hat Khanyiso Gwenxane einen bemerkenswerten kurzen Auftritt. Weil ihn die Prinzessin, in die er verliebt ist, bedrängt, Jochanaan frei zu lassen, übersteigt dieses Ansinnen seine Kräfte. Er nimmt sich das Leben, hier durch einen Schuss aus einer Pistole. Sein hell fließender, von einem unnatürlichen Vibrato geprägter Tenor weicht der Dramaturgie. In den weiteren Partien überzeugen die verschiedenen Sängerdarsteller, etwa als Soldaten oder Nazarener. Das Parlando im Quintett der Juden in der Tonsprache von Strauss gerät zum Feinsten.

Mit Schmitts und Baumanns Salome kann das Musiktheater im Revier gehörig punkten. Dies unterstreicht auch der anhaltende, bisweilen tosende Jubel des Publikums für alle Akteure im fast voll besetzten Haus.

Dr. Ralf Siepmann

Copyright: Pedro Malinowski

 

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