Puccinis „Turandot“ an der Wiener Staatsoper: Kühles, schmuckloses Ambiente in packender musikalischer Realisierung

Xl_turandot-wien-c_monika_rittershaus-12-23-3 © Monika Rittershaus

Unpersönlich, kühl und kaum ausgestattet wirkt die Bühne, eigentlich wie ein karger Warteraum mit Stühlen einer straff organisierten, staatlichen Behörde. Wie Marionetten in altvaterischen grünen Uniformen (Kostüme: Ursula Kudrna) eilen Beamte, alle mit roten Haaren und dem gleichen Haarschnitt ausgestattet, in eckigen Bewegungen wie Roboter herum (Bühne: Etienne Pluss). Alles wird minutiös in Aktenordnern dokumentiert auch die Exekutionen: So zeigt sich die neue Inszenierung von Giacomo Puccinis „Turandot an der Wiener Staatsoper. Nur knapp zwei Monate nach einer Neuproduktion von "Il trittico" wird Puccini im Haus am Ring wieder gefeiert – Anlass ist die 100. Wiederkehr seines Todestages im Jahr 2024. Es gibt keinen sonst oft gezeigten Prunk, keine chinesische Ornamentik oder irgendwelche Symbole und schon gar keine imposanten Aufmärsche. Alles ist gleichgeschaltet, so sitzt der Chor während des gesamten ersten Aktes unbeweglich und alle Mitglieder in der gleichen Haltung, was an eine Sitzung des chinesischen Volkskongresses oder an eine solche in Nordkorea erinnert, am Bühnenrand. Auf der Bühne befasst man sich mit abgetrennten Köpfen, die teils in Schachteln aber auch so herumgetragen werden. Auch ein zigarettenrauchender, kopfloser Mann mit einer Frau im Brautkleid schreitet daher. Für Calaf erscheint alles rätselhaft. Er betritt verwirrt den Raum in völliger Ungewissheit. Seitliche Türen, in die die Beamtenschaft schreitet oder hervorkommt, bleiben ihm verwehrt. Im Hintergrund erblickt man eine riesige Türe, es soll jene berühmte zu Sigmund Freuds Praxis in der Wiener Berggasse sein. 

Turandot ist zuerst überdimensional groß nur schemenhaft hinter einer milchig weißen Wand zu erblicken, wobei ihre Hand Blut auf diese malt. Später liegt sie mit weißen Haaren und weißem Kleidchen meist trotzig in einem Bettchen und starrt vor sich hin. Sie wirkt eiskalt und umgibt sich mit Menschenpuppen. Auf allen Ausstattungsprunk verzichtend will Regisseur Claus Guth die inneren Vorgänge der Protagonisten nach außen kehren. Er zeigt dabei ein subtil-rätselhaftes Spiel der Gefühle.Es geht um eine ernste psychologische Symptomatik, die eindrücklich umgesetzt wird. Alles wirkt jedoch zu unterkühlt und wenig ästhetisch. Hingegen ist die Personenführung selbst sehr ausgeklügelt.

Für große Glaubhaftigkeit sorgt einmal mehr die großartige Singschauspielerin Asmik Grigorian in der Titelrolle. Es erstaunt immer wieder, mit welcher Differenziertheit sie ihre Rollen szenisch wie auch stimmlich gestalten kann. Von feinsten Piani bis hin zu immer präsenten, kraftvollen Ausbrüchen reicht ihre fulminante Palette, wobei sie dabei immer klangschön singt. Immer baritonaler klingt das edle, samtige Timbre von Jonas Kaufmann aber mit allen ungefährdeten Spitzentönen. Auch seine Paradearie „Nessun dorma“ gelingt ihm vortrefflich und wird mit langanhaltendem, jubelndem Applaus bedacht. Darstellerisch wirkt er jedoch etwas hölzern. Eine Entdeckung für die Wiener Staatsoper ist Kristina Mkhitaryan als Liù. Sie singt ungemein innig und rein aber auch mit starker Präsenz. Von der Regie wird sie immer wieder bis zu vierfach gedoubelt. Dan Paul Dumitrescu ist ein verlässlicher Timur, Jörg Schneider ein idealer Kaiser Altoum. Tadellos singen auch Attila Mokus als Mandarin und die drei intensiv spielenden Minister Martin Häßler (Ping), Norbert Ernst (Pang) und Hiroshi Amaki (Pong). Homogen und reich schattiert singt der Staatsopernchor (Einstudierung: ), teils auch aus dem Off.

Puccinis Partitur mit der erweiterten vollendeten Fassung von Franco Alfano, ein Schüler Puccinis, wird vom Orchester der Wiener Staatsoper unter Marco Armiliato immer delikat und feinschillernd mit idealen exotisch-koloristischen Klangwirkungen und ausgewogen sängerfreundlich umgesetzt. Wie wohl der Phonpegel bei den reinen orchestralen Stellen manchmal recht gewaltig ist, wird die Musik mit gleißender Effektkunst und hohem Spannungslevel wiedergegeben.Armiliato ist ein Kapellmeister im besten, und positivsten Sinne, der auch immer an die Interpreten denkt, mit ihnen fühlt und atmet. 

Riesiger Applaus für die musikalische Realisierung, massive Proteste für die Regie bei der Premiere!

Dr. Helmut Christian Mayer

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