Oper Leipzig
Viktor Ullmann
Der Sturz des Antichrist
Premiere am 25. 09.2021
Die Oper Leipzig startet in eine imposante Spielzeit. Es werden alle dreizehn Bühnenwerke Richard Wagners - inclusive gleich zweier Neuinszenierungen von Die Meistersinger von Nürnberg und Lohengrin - zu erleben sein, dazu gehören auch die Frühwerke Die Feen, Das Liebesverbot und Rienzi. Außerdem brachte das Haus soeben die Leipziger Erstaufführung einer Oper des Komponisten Viktor Ullmann heraus, das Bühnenweihefestspiel Der Sturz des Antichrist.
Viktor Ullmann wurde 1898 in Schlesien geboren, studiert Klavier und Komposition – unter anderem bei Schönberg in Wien - beginnt bereits als dreizehnjähriger zu komponieren und übernimmt verschiedene künstlerische Aufgaben an Theatern, z.B. als Chormeister, später auch Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag. Seine Oper Der Sturz des Antichrist, die 1935 nach der Machtergreifung Hitlers fertiggestellt wurde, wird zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt. Erst spät, 1995 kam das Werk zum ersten Mal auf die Bühne, und zwar in Bielefeld, wo man in den 80er und 90er Jahren immer wieder Werke inszeniert und zur Diskussion gestellt hat, die von den Nazis als „entartet“ verboten worden waren.
Ullmann wurde von den Nationalsozialisten 1939 mit Beruf- und Aufführungsverbot belegt und 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert. Dort hat er bis zu seiner Ermordung 1944 noch als Komponist, Dirigent, Pianist gewirkt. Nicht wenige Kompositionen, unter anderem seine heute etwas häufiger gespielte Oper Der Kaiser von Atlantis sind in dieser Zeit entstanden.
Der Komponist war wie der Autor des zugrundeliegenden Textes, Albert Steffen, Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft und stark von der Lehre Rudolf Steiners angezogen. Dies spiegelt sich auch im Sujet des Bühnenweihefestspiels. Der totalitäre Regent will in Allmacht herrschen und versucht, den Techniker, den Priester und den Künstler gewaltsam für seine Ziele einzubinden. Techniker und Priester geben nach, der Künstler aber verweigert sich. In Gefangenschaft macht er die Begegnung mit dem Wärter, durch den und mit ihm er die Erkenntnis entwickelt, dass er sich in seiner Mission des „Ich bin!“ auf den Weg zur Überwindung des Körperlichen zum Geist aufmachen will. Die Erfahrung von Tod und Wiedergeburt sind wesentliche Teile des Prozesses.
Der Techniker scheitert an seinem Auftrag, die Emanzipation des Menschen durch die Raumfahrt zu befördern. Er sieht mit Schrecken in einer Vision die durch menschliche Hybris entseelte Erde. Er wird vom Regenten erschossen. Im Versuch einer aus Stein betriebenen synthetischen Brotgewinnung verfällt der Priester dem Wahnsinn. Der Künstler schmäht öffentlich den Regenten. Der Diktator kommt beim selbst unternommenen Weltraumflug schließlich ums Leben. Techniker und Priester erfahren ihre Auferstehung und erleben zusammen mit dem Künstler diesen Sturz des Antichrist.
Zwischen den Weltkriegen gab es eine Periode, in der eine Reihe weltanschaulich-religiöser Opern – wie Der Sturz des Antichrist - auf die Bühne kamen. Dies wird nicht zuletzt darauf zurückgeführt, dass als Folge politischer, sozialer und weltanschaulicher Krisen und den Umwälzungen durch Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und Diktaturen eine besondere Offenheit dafür bestand. Ullmann übernimmt den Text seiner Oper fast wörtlich aus Albert Steffens gleichnamiger „dramatischer Skizze“.
Es handelt sich um eine allegorische Parabel basierend auf anthroposophischem Gedankengut mit Kritik an einer Hybris des Fortschrittsglaubens und moderner Diktaturen. Im Mittelpunkt steht ein Greis, der stark an Wagners Gurnemanz im Parsifal erinnert, und der mit messianischer Verkündigungsbestimmung im Geiste der anthroposophischen Lehre den jungen Künstler mit der Idee eines pseudoreligiösen Anspruchs formen will. Das Ziel soll eine neue Einheit von Körper, Seele und Geist sein, die durch einen visionären Blick auf die göttliche Bestimmung einerseits Gefahren von der Menschheit abwenden und so einen endgültigen Heilsanspruch begründen soll.
Im Kern verbleibt ein enigmatisches Zentrum, das man nur über eine langfristige und intensivere Auseinandersetzung mit der anthroposophischen Leere umkreisen und sich so möglicherweise annähern kann.
Die dreiaktige Oper ist durchkomponiert und fußt auf einem spätromantischen Orchesterstil mit vereinzelten dissonanten Elementen. Die Solistenrollen sind ausschließlich mit sechs Männerstimmen besetzt. Der Oper – außer beim Charakter des Künstlers – fehlt eine nachvollziehbare innere Entwicklung der Personen der Handlung. Der groß besetzte Orchesterapparat mit seinen Klangballungen macht es – trotz eines umsichtigen Dirigats - für die Sänger nicht leicht, in einer angemessenen Balance durchzudringen.
Der Regisseur Balázs Kovalik mit seinem Bühnenbildner Stephan Manteuffel schaffen eine bedrückende Szene. Der gewaltige Rundhorizont zeigt das Einheits-Bild einer entseelten, sprich: zerstörten Natur wie in einem Tagebergabbau. Chor und Statisterie irren über diese Szene. Der Regent und Diktator befindet sich am liebsten weit oben auf einer beweglichen Platte, die in unterschiedlicher Höhe und Neigung über dem Geschehen schwebt und von den agierenden Sängern immer wieder in eine scheinbar nicht zu kontrollierende Bewegung gebracht wird. Als der Regent am Ende abstürzt, kippt sie schlicht nach hinten und entsorgt gewissermaßen den Diktator im Nirgendwo.
Die Sänger werden differenziert geführt. Die Bedrohungssituation wird nicht nur an den ganz offensichtlichen Stellen wie der Ermordung des Technikers durch Erschießung deutlich, sondern liegt atmosphärisch die gesamte Zeit über der Szene. An bestimmten Stellen kommt die Hydraulik der gesamten Bühnenmaschinerie mit soghafter Wirkung eindrucksvoll zur Geltung. Die Inszenierung bedient sich insgesamt eines klaren und verständlichen Stils bei der Vermittlung der Handlung und verliert sich nicht in etwaige deutungsschwere oder psychologische Überfrachtungen, wozu das Werk durchaus verführen kann.
Auch das Sängerensemble der Oper Leipzig meistert diese Herausforderungen in optimaler Form. Obwohl ausgerechnet kurz vor der Premiere verletzt und notgedrungen im Rollstuhl sitzend, überzeugt Thomas Mohr als Regent. Er vermag den Diktator mit schneidender Kälte zu versehen und mitunter stattet sein Auftritt im Rollstuhl auf der Bühne vorne das Wesen des Autokraten mit einer besonderen Note der Starrheit aus – als ob es konzeptionell so gewollt sei. Der Regisseur hat während der Premiere die Partie als stumme Rolle auf der Bühne interpretiert.
Der Künstler wird in aller Eindringlichkeit von Stephan Rügamer verkörpert. Dem sensiblen Sänger gelingen in dieser vielleicht eindrucksvollsten Partie der Oper große Momente der Nachdenklichkeit und Verinnerlichung. Sein Tenor vermag in sehr spezifischer Modulatorik und Stimmführung die Stadien von Zweifel, Verzweiflung und wachsender Zuversicht zum Ausdruck zu bringen.
Eindringlich und ganz offensichtlich an der Vorbildrolle des Gurnemanz geschult, vertritt Sebastian Pilgrim den Wärter, greiser Hüter der Schwelle zwischen den Sphären, der den großen Lehrer noch kannte. Dabei ist die klare Durchsichtigkeit der Stimmführung seines gewaltigen Basses wohltuend. Pilgrim vermeidet so weitgehend eine zu weihevolle, pietistische Geste dieser Figur.
Dan Karlström als Priester und Kay Stiefermann als Techniker überzeugen voll mit ihren stimmlichen und darstellerischen Rollenportraits, die Abhängigkeit und Gebrochenheit von Individuen in einem diktatorischen Regime vergegenwärtigen.
Der Chor der Oper Leipzig unter der Leitung von Alexander Stessin erfüllte die ungewohnten sängerischen und darstellerischen Aufgaben mit Bravour.
Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny entlockte der Partitur alle Facetten einer vielschichtigen Klangpalette und spielt dynamische Höhepunkte – bei aller gebotenen Rücksichtnahme auf die Sänger - mit aller differenzierten Pracht gekonnt aus.
Große und lange Zustimmung mit vielen Bravi für die beteiligten im noch lange nicht wieder vollen Haus !
Achim Dombrowski
Copyright: Kirsten Nijhof / Oper Leipzig
29. September 2021 | Drucken
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