Die Inszenierung der Ekstase in Wiesbaden setzt auf das Theater, weniger auf Wagner

Xl_31915_9363_tristan_forster___271___002_ © Karl und Maria Forster

Richard Wagner Tristan und Isolde Besuch am 29. Mai 2022 (Premiere 7. November 2021)

Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung der Ekstase setzt auf das Theater, weniger auf Wagner

Staatstheater Wiesbaden

Als „Seelenzauberkünstler“ empfindet Thomas Mann den Komponisten Richard Wagner. Der Autor von Doktor Faustus sieht den Menschen Wagner kritisch, gesteht indes wiederholt seine Passion für des Meisters „zaubervolles Werk“. 1902 erlebt er im neuerbauten Münchner Prinzregentheater die „Sinnlichkeit“ von Tristan und Isolde, danach immer wieder. Den chromatischen Zauber und die betörende Sinnlichkeit der unendlichen Melodie entfaltet 120 Jahre später Michael Güttler am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden.  Die Internationalen Maifestspiele 2022 in der hessischen Landeshauptstadt nähern sich ihrem Abschluss. Die Aufführung ist auch dank Besetzung auf Festivalniveau eines der Highlights nach einer zweijährigen Corona-bedingten Festivalpause.

Zum vollständigen Wagner-Glück fehlte eigentlich nur noch eine adäquate Inszenierung. Ob der Hausherr und Regisseur Uwe Eric Laufenberg diese dem frohgestimmten Publikum geschenkt hat, ist angesichts des hybriden Regiekonzepts nicht so einfach zu beantworten. Ein „Seelenzauberkünstler“ ist er eher nicht. Doch durchaus ein Theaterkünstler, der Wagners in Noten gehauenem Gedenkstein zu Ehren seiner Gönnerin und heimlichen Liebe Mathilde Wesendonck fast aufs Wort und jede Regieanweisung folgt. Der mit den Mitteln des Theaters ausdrückt und passagenweise weiterspinnt, was Wagner auf den Spuren von Schopenhauers Verneinung des Willens zum Leben als Erlösungsmodell erfasst. Maß und Vorstellung sprengend.

Kunst sei etwas Außerordentliches, notiert Laufenberg im Programmheft zu den Festspielen. „Denn Kunst kann Ordnungen außer Kraft setzen.“ Nun hat gerade Wagner mit seiner Dichtung in den Spuren Gottfried von Straßburgs und des Hans Sachs sowie seinem irrwitzigen Vorstoß in das Reich der Chromatik nichts weniger unternommen als eine Ordnung der Tonsprache zu verabschieden. Umso gespannter die Erwartung, die der ersten Tristan-Inszenierung Laufenbergs entgegendrängt.

Zwei unkonventionelle Inszenierungsauffassungen der Vergangenheit seien in Erinnerung gerufen. 1981 verwandelt Jean-Pierre Ponnelle in seiner Bayreuther Debüt-Inszenierung die Szenerie des dritten Aufzugs in eine Schattenwelt, in der die Grenzen zwischen realem und unbewusstem Sein aufgehoben erscheinen. In der Tristan die Ankunft Isoldes in der Bretagne im Fiebertraum erlebt. Tristans Erleben des „Lichts“, von dem er spricht, eine Phantasmagorie? 2011 richtet Willy Decker bei der Ruhr Triennale seine Inszenierung an der buddhistisch-spirituellen Sichtweise Wagners und ihrer Quellen aus. An der Idee der Aufhebung des Ich. An der Idee der „Einheit alles Lebenden“, vom Eins-sein und der Ganzheit. An der Idee von der Überwindung des Gegensatzes von Diesseits und Jenseits, wenigstens in der Kunst.

Liegt zwar die Verführung nahe, in die Metaebene dieses Paroxysmus der Leidenschaft einzutauchen, hat sich Laufenberg indes für eine weniger spiritistische Inszenierung entschieden. Unter dem Strich steht sein Entschluss, die Tragödie als packendes Theater spielen zu lassen. Von Aufzug zu Aufzug steigert sich der Einsatz von Mitteln des Theaters. Allen voran die herausragende Lichtkunst von Andreas Frank, gefolgt von den Videoeinspielungen von Gérard Naziri. Zusätzlich ist noch eine Tanzformation des Theaters mit von der Partie.

Wie es fassen…,stößt Tristan im Liebesduett des zweiten Aufzugs hervor. Laufenberg „fasst“ es im ersten Aufzug ziemlich unprätentiös. Eine überdimensionale Leinwand spannt sich wie ein großes Segel im Hintergrund der Bühne von Rolf Glittenberg, auf die allerlei Formen von Wasser projiziert werden. Wie Wasser korrespondierend erscheinen die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer. Zum ersten Mal ins Blaue changiert das Licht, als der Bann, in dem beide verfangen sind, nach dem Trank der Liebesglut weicht. Treuloser Holder! Seligste Frau!

Im zweiten Aufzug spielen elegant fließende Stoffe in Grau eine große Rolle. Unter einem solchen Tuch schmachtet das Liebespaar seiner Vereinigung entgegen. Eine Tanzformation in körperfarbenen Trikots, bestehend aus vier Paaren, führt eine umtriebige Choreographie rund um das Paar auf. Sie imitieren oder kommentieren Posen der Liebenden, wodurch – quer zu Wagners schmelzender, eh erotisch aufgeladener Musik – nach und nach eine irritierende Unruhe entsteht, die auch das beruhigende Blau der „Nacht-Geweihten“ nicht mildern kann, in dem Tristan sich gemeinsam mit Isolde verortet.

Es ist eines der Geheimnisse der Inszenierung, dass ungeachtet dieser Entfokussierung in O sink hernieder, Nacht der Liebe, in der darstellerischen und vokalen Verschmelzung, im Parkett wie auf den Rängen eine berückende Stille und atemlose Spannung entstehen. Wohl zum Teil ausgelöst durch die Intimität der Position, die Wagner beiden „Haupt an Haupt gelehnt“ bestimmt, der Laufenberg unmittelbar folgt.

Danach steigt der Puls in den Videoprojektionen, bis hin zu Schlachtenbildern mutmaßlich aus dem Zweiten Weltkrieg. Das ist aber nicht ganz plausibel. Kehrt doch Marke diesmal nicht in militärischer Absicht zurück. Jedenfalls agiert die Marke-Gefolgschaft inklusive Isolde jetzt in blauen Gewändern. Im dritten Akt, der bei Wagner im Garten von Burg Kareol spielt, ruht Tristan in einem Klinikbett von heute, anfänglich in einem Ambiente von himmlischen und ozeanischen Blautönen. Marke erscheint an der Spitze seiner trauernden Delegation. Alle in Schwarz, tiefschwarz wie der Sarg für Tristan, der wohl in Vorausschau auf der Bühne postiert ist und ihm Anlässe für herzzerreißende Ausbrüche eröffnet.

Um die Seelenpein des in Klinikstoff mit Blutspritzern auf der Brust durch die Szene wankenden Tristan nicht länger anschauen zu müssen, werfen sich Markes Begleiter in eine offene Gruft am hinteren Bühnenrand. Ein makabres Bild in unseren vom Schrecken des Krieges in der Ukraine überschatteten Tagen, wenn die Köpfe im Fallen zur Seite zucken, als seien die Höflinge just in time erschossen worden.

Ins Skurrile wechselt Laufenberg anschließend das Geschehen, indem ein nacktes Tristan-Double über die Bühne schreitet und sich in das Bett legt, wo es wie im Todesschlaf ruht. Später tauschen Tristan und das Double die Plätze, was im Wirbel der Tanzformation kaum bemerkt wird. Tristan zieht es in die Gruft. Er verlässt so die Welt. Isolde folgt ihm nach dem schönsten Abschied von allem Irdischen, der je komponiert wurde, wobei ihr Laufenberg entgegen Wagners Regieanweisung „das Heften des Auges mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche“ verwehrt. Die physische Entgrenzung beider ist perfekt, das Bühnenlicht logischerweise nun in mildes Sonnenlicht getaucht.

Wagners „Handlung“, womit der Komponist an das griechische Drama anknüpft, ist Reduktion pur. Der Dramatiker Heiner Müller löst dies 1995 in seiner zusammen mit Erich Wonder entwickelten Bayreuther Inszenierung adäquat ein. In ihrem minimalistischen Konzept existieren ausschließlich Licht- und geometrische Strukturen.  Ausstattung? Para-Handlungen? Mitnichten! Laufenberg geht einen anderen Weg, der ein Stück Zeitgeist aufnimmt. Sein Vexierspiel mit einem „echten“ und einem surrealen toten Tristan wird Wagner freilich nicht gerecht, weder seinem Werk, noch seiner Philosophie, arbeitet ihm gar entgegen So viele Instagram-gewohnte junge Menschen sind doch gar nicht im Publikum, als dass man ihnen Reverenz erweisen müsste.

Wer in den vorderen Reihen seinen Platz hat, erlebt Güttlers Wagner-Sound wohl eine Idee zu bombastisch. Entscheidend ist aber, dass die Kommunikation zwischen dem Orchestergraben und der Bühne, auch im Hinblick auf die Gäste im Ensemble, funktioniert. Zum Glanzstück gerät ihm mit dem Staatsorchester das Vorspiel zum dritten Aufzug mit der sonoren Grundierung durch die tiefen Streicher. Famos zu nennen ist die Leistung einzelner Orchestersolisten von der Ersten Violine über die Solo-Klarinette in all ihren Variationen bis hin zum Englischhorn. Zu Beginn des dritten Aufzugs schildert es in 41 solistischen Takten die Trostlosigkeit Tristans und Kurwenals, ergreifend. Der von Albert Horne einstudierte Chor präsentiert sich in guter Verfassung, auch wenn ihm durch wechselnde Positionen, darunter in der hohen Seitenloge, einiges zugemutet wird.

Thomas Manns Seelenzauberkünstler sind selbst in Wiesbaden zu erleben. Andreas Schager als Tristan, Siegfried auch in Laufenbergs Wiesbadener Ring, bestätigt seinen Ruf, einer der führenden Heldentenöre im deutschen Fach zu sein. Grandios seine stimmliche Kraft, auch die hochalpine Gesangstour im mörderischen Monolog des Schlussakts scheinbar anstrengungslos zu bewältigen und dabei in Diktion und Tonbildung präzise zu sein und zu bleiben. Famos seine Gabe, im Anschwellen der Stimme eine dramatische Höhe zu erreichen und zu halten. Zudem ein Tristan-Darsteller, der den zerrissenen Charakter der Gestalt emphatisch auszuspielen versteht. Eine weitere Tristan-Aufführung mit Andreas Schager im Wiesbadener Haus ist übrigens am 6. Juni geplant, dann mit Barbara Havemann als Isolde.

Die Isolde von Catherine Foster, alsbald auch Isolde im Wagner-Mammut Projekt der Oper Leipzig wiederum mit Schager, steht mit loderndem Sopran ihrem Antipoden in Nichts nach. Sie zieht alle Register vom tiefsten Schmerz bis zum ekstatischen Aufschrei, entwickelt bis zum großen Finale eine starke Bühnenpräsenz. Leider trübt sich dieser einzigartige Eindruck durch ihr Vibrato, das sich jenseits einer natürlichen Linie einstellt, das sich bis zum Versinken des Liebestod-Finales unbewußt, höchste Lust graduell steigert. René Pape ist ein großartiger Marke mit souverän geführtem Parlando. Stupend seine Fähigkeit, den Gesang aus dem erschütterten Inneren des leidenden Königs auf ein sehr eigenes Pianissimo herunter zu bringen. Ein höchster Ausdruck von Empathie.

In der Rolle der Brangäne kann ein beseelter dramatischer Mezzo nicht viel falsch machen. Die aus Georgien stammende Khatuna Mikaberidze setzt bei zurückhaltendem Spiel wesentliche Akzente und bringt mit ihrem Warnruf an die Liebenden Habet acht. Habet acht. Schon weicht dem Tag die Nacht jene von Melos getränkte Stimmung hervor, die die Gefühlswelt des Menschen streichelt. Thomas de Vries liefert in der Partie des Kurwenal eine famose Leistung. Sein samtig getönter Bariton ist mit großer Textverständlichkeit gepaart. Er gibt den Schildträger Tristans mit Hingabe, bringt die ritterlichen Werte einer versunkenen Welt anrührend zur Geltung.

Simon Schnorr ist mit markantem Bariton ein Melot, wie man sich wohl einen Ritter am Hofe Markes vorstellt. Aus Backstage-Regionen ertönt die Stimme des jungen Seemanns, die Julian Habermann mit seinem wie Wasser fließenden Tenor intoniert. Erik Biegel hat mit seinem Hirtengewand in Übergröße mehr Mühe als mit seinem Singen, in dem der „Spieltenor“, den Wagner vorschreibt, plastisch das Meer schildert, öd und leer.

Etwas von der Ekstase aus dem Bühnengeschehen hat sich offensichtlich auch auf das Publikum übertragen. Es vergehen kaum zwei Minuten, bis mindestens die Hälfte der Besucher ihre Begeisterung für die Sängerdarsteller, den Chor und insbesondere das Orchester und seinen Leiter artikuliert. Auf der Landkarte der Städte mit herausragender Affinität zu Richard Wagner ist Wiesbaden gewiss dokumentiert. Und sicher nicht in den kleinsten Buchstaben.

Ralf Siepmann

Foto Copyright Karl & Monika Forster

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