"Eugen Onegin" an der Grazer Oper: Ein gefühlvolles und intimes Seelendrama

Xl_eugen_onegin-graz-12-17-1 © Werner Kmetitsch

Ein intimes, berührendes Seelendrama Von Anfang an beobachtet man interessiert die Frau am Pult. Und bald ist klar, die Intendantin der Grazer Oper Nora Schmid hat mit ihrer neuen Chefdirigentin einen Glücksgriff getan. Diese heißt Oksana Lyniv, ist 39 Jahre alt, stammt aus der Ukraine und war von 2013-2017 Assistentin von Kirill Petrenko und Dirigentin an der Bayrischen Staatsoper. Mit präziser, wenn nötig energischer Zeichengebung und äußert suggestiven Gesten, weiß sie aufwühlende Momente und große Spannungsmomente sowie viele subtile, fassettenreiche Zwischentöne und feinste Lyrismen bei den Grazer Philharmonikern zu erzielen. Auch ist ihr Dirigat sehr sängerfreundlich. So entsteht eine außergewöhnliche Symbiose mit viel Gefühl und Wärme. Und so wird ihre erste Opernpremiere an der Grazer Oper ein musikalischer Riesenerfolg und vom Publikum umjubelt. Dazu erlebt man außergewöhnliche Sänger wie eine Oksana Sekerina als Tatjana. Sie besticht mit vielen feinen und leisen Zwischentönen und einem herrlich blühenden Sopran mit berückenden Phrasen. Besonders die „Briefszene“, mit einem weißen Tuch, das auch als Tischtuch, Bettdecke dient und offensichtlich ihr ganzes Leben symbolisieren soll, statt einem Brief, gelingt ihr trefflich.

Als eingesprungener Titelheld ist Dariusz Perczak mit einem warmen Edeltimbre zu vernehmen. Dann singt Pavel Petrov mit schönem, lyrischem, einen höhensicheren Lenski. Vor allem seine große Arie „Kuda, kuda…“ vor dem todbringenden Duell berührt ungemein. Mit allen Tiefen singt Alexei Birkus den Fürsten Gremin, der hilflos gelähmt im Rollstuhl sitzend von Tatjana gefüttert werden muss. Sehr wohltönend singen Yuan Zhang eine Olga, die keinem Flirt abgeneigt ist und Lenski schon satt zu haben scheint, und Manuel von Senden den Triquet, der im burlesken Clownkostüm Tatjana zur zersägten Jungfrau macht. Die übrigen kleineren Partien sind rollendeckend besetzt. Und einen gut singenden, homogenen Chor des Hauses (Einstudierung: Bernhard Schneider), der immer geordnet in klugen Choreographien auftritt und fallweise auch die Hauptpersonen in Kostüm und Maske vervielfältigt, hört man auch. Ein strenger, heller Holzkubus beherrscht die Bühne (Bühnenbild: Gideon Davey), die außer einer langen Tafel, die auch als Bett und Laufsteg dient, radikal leer geräumt ist. Dieser kann sich nach hinten öffnen und auch mittig teilen, wenn in der Duellszene zwischen den beiden Kontrahenten symbolhaft ein breiter Riss entsteht. Die geschmackvollen, in Grautönen gehaltenen Kostüme (Dieuweke von Reij) sind in der Uraufführungszeit der Oper um 1880 angesiedelt. Sehr reduziert und klar ist aber nicht nur die Ausstattung sondern auch die Regie von Jetske Mijnnen. Mit ihrer detaillierten und fein gezeichneten Personenführung zeigt sie die Geschichte, die auf einem Roman von Alexander Puschkin basiert, ohne großen Aufwand als berührendes Kammerspiel und poesievolles Seelendrama, deren Szenen nahtlos ohne Verwandlung ineinander übergehen. Liebevoll und detailreich ist die Modellierung der Einzelpersonen. Mit geringen Mitteln gelingen so große Effekte! Hochgestimmt ist auch das Grazer Publikum, es applaudiert und jubelt frenetisch.

Helmut Christian Mayer

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