Salzburger Festspiele Salome als abstrakte Psychoanalyse

Xl_img_1313 © Salzburger Festspiele Ruth Walz

Richard Strauss ist eng mit der Entstehungsgeschichte der Salzburger Festspiele verbunden und war auch hier öfters als Dirigent am Pult. Die Aufführungen seiner Werke geniessen hier einen besonderen Stellenwert. So auch bei den diesjährigen Festspielen die Neuinszenierung seiner Salome, ein Werk, das Operngeschichte geschrieben hat. Die Uraufführung 1905 in Dresden löste grosse Diskussionen über Sittlichkeit, Obsession und Obszönität aus. In verschiedenen Länder verhinderte die Zensur die Aufführung. Trotzdem wurde diese Oper oder gerade deswegen ein grosser künstlerischer und auch wirtschaftlicher Erfolg für den Komponisten. Die Modernität und Expressivität der Musik, sowie die Kraft und Qualität des Librettos schrieben Musikgeschichte. Ebenso wird diese Neuinszenierung von Salome der Salzburger Festspiele in der Regie des Italieners Romeo Castellucci in ihrer Abstraktheit und Kraft der Bilder Werkgeschichte schreiben. Auch dank des musikalisch präzis ausgestalteten Dirigats von Franz Welser Möst und der herausragenden Asmik Grigorian in der Titelrolle. Ein dunkler Vorhang verhüllt den Blick auf die breite Bühne der Felsenreitschule, Lichtspots lassen verschiedene Szenen erkennen. Noch bevor das Orchester einsetzt, öffnet sich der Vorhang und wir befinden uns auf der leeren Terrasse des Palast von Herodes. Der Boden glänzt golden vor einer geschlossenen Felswand, die Arkaden der Felsenreitschule hat der Regisseur in seiner Gestaltung des Bühnenbildes geschlossen. Juden und Nazarener in dunklen Mänteln schleichen verdächtig, teilweise bewaffnet herum. Ihre Gesichter sind vom Nacken bis zur Nase rot bemalt. Salome im weissen Kleid rennt verstört auf die grosse golden ausgeleuchtete Bühne. Ein roter Punkt auf der Rückseite ihres Kleides stellt die verlorene Jungfräulichkeit, den Missbrauch und den Grund ihres Entsetzens dar. Behaglich leise und anklagend setzen die Wiener Philharmoniker ein, die dramatische Tragödie um das Leben der Prinzessin und des Propheten Jochanaan beginnt. Für Castellucci erscheint es in seiner Interpretation um das Ringen der einsamen verstörten, misshandelten Salome um die Kraft des Höheren, des Unbekannten und der Kraft des Glaubens. Er beschäftigt sich mit der Erkundung dessen, was man noch nicht kennt. So wird auch die erste Begegnung von Salome und Jochanaan nicht zur erotischen Annäherung sondern ehrfürchtigen Anhörung. Stark ist die Deutung des berühmten Schleiertanzes. Nackt und unbewegt kauert Salome auf einem goldenen Podest in embryohafter Stellung von Beginn an, im Laufe der exstatisch expressionistischen Musik, meisterhaft von den Wiener Philharmonikern gespielt, nähert sich von oben ein Felsblock unter dem Salome verschwindet. Das Podest ist am Ende leer, Salome erscheint am Ende im weissen Kleid dahinter wieder. Ebenso verfremdet gestaltet Castellucci die Schlusszene, die eratische Liebesbekundung Salomes mit dem Kopf des Jochanaan. Auch hier beschreitet er neue Wege, nicht der Kopf sondern der Torso des Geköpften steht im Zentrum der Begierde, ein schwarzer Pferdekopf liegt auch auf der Bühne, aber geht es wirklich nur um den Kuss, das körperliche Begehren. Geschickt hebt er diese Frage so ab und erzeugt eine unglaubliche Aussage und Dichte. Im Schlüsselmoment zieht sich Salome zurück und reinigt ihr schuldhaftes Begehren in einem Bade. Rätselhafte Momente in aussagekräftigen ästhetischen Bilder reihen sich fliessend in vermeintlicher Harmonie ineinander, es brodelt schattenhaft darunter. Viel Einsatz verlangt die Regie von Asmik Grigorian in der Gestaltung der Titelpartie. Die junge Litauerin zieht über knapp zwei Stunden das Publikum in ihren Bann. Sie räkelt sich kindisch neckisch, wälzt sich am Boden, badet in Muttermilch, verehrt Männer verschlingend einen nackten Torso und singt dabei in ebenso vielen Farben und expressiver Ausdruckskraft. Die Mächtigkeit ihres Sopran, der aus dem zierlichen Körper steigt, überrascht und vereinnahmt den Zuhörer. Die Präsenz, Vielfalt und Breite der Stimme erlauben ihr eine nahezu grenzenlose Flexibilität. Lyrik und Dramatik, mädchenhaftes Säuseln sowie dickköpfiges Beharren, alles hat Platz in ihrer Gestaltung. John Daszak als Herodes und Gabor Bretz als Jochanaan beweisen im Zwiegespräch bzw Gesang mit dieser Salome ihre männliche Standfestigkeit. Julian Pregardien zeigt sich als jugendhaft träumerisch verliebter Naraboth mit feinem hellen Tenor. Anna Maria Chiuri ist eine kecke aber sehr damenhafte Herodias, die auf schrille Dramatik verzichtet. All diese gestalterischen und sängerischen Feinheiten führt Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker meisterhaft zusammen. Filigran und transparent lesen die Musiker die Partitur vor. Wohl gedämpft bleibt die Lautstärke nur auf wenige wuchtige Ausbrüche beschränkt. Dafür werden Harmonie und Melodien aufgebaut, die man in dieser Deutlichkeit selten hört. Der Schleiertanz wird zum philharmonischen Ohrenschmaus, den Welser Möst mit Soli und Tutti lyrisch romantisch bis exstatisch expressionistisch choreografisch ausgestaltet. Das Publikum braucht am Ende kurzen Einhalt bevor grosser Jubel ausbricht.

Helmut Pitsch

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